BÄUME UND LEITUNGEN. EIN BEITRAG ZUR AKTUALISIERUNG DES REGELWERKES DWA-M 162

Quelle: TASPO BaumZeitung, 02/2012, S. 29-32
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach, Dipl.-Ing. Dr. Peter Lampret

Im Bereich von öffentlichen Verkehrsflächen beeinflussen sich Bäume und unterirdische Ver- und Entsorgungsanlagen gegenseitig. Dies macht eine Verzahnung der im Straßenraum tätigen Fachrichtungen im gegenseitigen Interesse notwendig. Dort wo die jeweils spezifischen Standards enden, kommt das sich derzeit in Überarbeitung befindliche Regelwerk DWA-M 162 zum tragen. Die Aktualisierung des Merkblattes wird zeitgleich eine Anpassung der ansonsten inhaltlich identischen Regelwerke DVGW GW 125 und FGSV Nr. 939 nach sich ziehen.


Einleitung

Der fortschreitende Wandel im Bereich der Stadtplanung erfordert flexible Anpassungsstrategien hinsichtlich der Ver- und Entsorgung der Bewohner. Dies beinhaltet auch die Bereitstellung eines naturnahen Wohnumfeldes durch die Pflanzung und Unterhaltung von Bäumen. Gehölze und technische unterirdische Infrastruktur tragen auf unterschiedliche Weise maßgeblich zur Steigerung bzw. zum Erhalt der Lebensqualität bei. Als lebende Organismen stellen Bäume eine biologische Komponente mit eigenen, sich im Laufe der Jahre verändernden Bedürfnissen dar. Dem gegenüber steht die Unterbringung der technischen Komponenten, die durch ihren Gebrauch einem gewissen Wandel unterliegen, deren Anlage jedoch weitestgehend im ursprünglichen Zustand verbleiben soll.

Eines der Hauptprobleme für Baumpflanzungen im Straßenbereich stellt der hierfür nur begrenzt zur Verfügung stehende Raum dar. Er bildet die Schnittstelle zwischen Baum und urbaner Infrastruktur und wird von mehreren Parteien in Anspruch genommen. Die unterschiedliche Nutzung dieses Raumes geht mit unterschiedlichen Anforderungen, insbesondere im unmittelbaren Bereich von Baumpflanzungen einher. Um diesen Bedingungen gerecht zu werden, ist die Planung, der Erhalt sowie die Optimierung von städtischen Baumstandorten durch eine Vielzahl von Regelwerken, Planungs- und Handlungsrichtlinien geregelt. Auf der anderen Seite existiert eine große Anzahl von Standards, welche die Planung, Ausführung und Unterhaltung der technischen Infrastruktur regeln.

So ist beispielsweise der gesamte Raum unterhalb von Fahrbahnen und Gehwegen in Sektoren zur Unterbringung von Leitungen und (technischen) Anlagen unterteilt. Nach der entsprechenden Norm [1] sind Baumpflanzungen nur dann zu berücksichtigen, wenn für vorhandene Leitungen keine Beeinträchtigungen entstehen. Umgekehrt entstehen einem Straßenbaum keinen Beeinträchtigungen, wenn ihm zur gewünschten funktionsgerechten Entwicklung ein ausreichendes Volumen an durchwurzelbarem Substrat zur Verfügung steht (vgl. [4]). Das hier vorgestellte Merkblatt DWA-M 162 hat den Einklang der unterschiedlichen Ziele der betroffenen Fachrichtungen zur Aufgabe.


Veranlassung

Praxiserfahrungen und aktuelle Forschungsergebnisse erforderten die Überarbeitung des Hinweises H 162 der ATV (textgleich mit GW 125 des DVGW und Nr. 939 der FGSV). Die Mitglieder der Arbeitsgruppe vertreten die unmittelbar von der Aufgabenstellung betroffenen Fachrichtungen, wie Ver- und Entsorgungstechnik, Tiefbau, Landschaftsentwicklung, Landschaftsbau, Biologie und Grünflächenplanung. Bei der Überarbeitung wirkten mit:

    DWA – Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.
    DVGW – Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V.
    FGSV – Forschungsgesellschaft des Straßen- und Verkehrswesens e.V.
    FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V.
    GSTT – German Society for Trenchless Technology e.V.
    GALK – Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz
    FNN – Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE – Verband Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.

Wesentliches Ziel der Zusammenarbeit war, die Hintergründe, Problemstellungen und Lösungsansätze so aufzuarbeiten, dass sie von den verschiedenen Fachrichtungen gemeinsam getragen werden können. Gütliche Übereinkommen zwischen der Planung und dem Bau unterirdischer Leitungen und Kanäle sowie dem Schutz von Bäumen stellen vielerorts eine hohe Herausforderung dar. Zusätzliche Anforderungen die sich in den beengten Bereichen von Verkehrsflächen in Siedlungsgebieten ergeben können, wie beispielsweise die Einhaltung von Mindestabständen und gleichermaßen ausreichendem Raum für Bäume sowie unterirdische Leitungen und Kanäle, sind häufig nicht miteinander zu vereinbaren.

Das überarbeitete Merkblatt DWA-M 162 verfolgt den Ansatz, mögliche Wege der gemeinsamen Nutzung des unterirdischen Straßenraumes zu verdeutlichen. Die entsprechenden Zusammenhänge werden kompakt dargestellt und Empfehlungen für Planung, Bau, Betrieb, Unterhalt (Instandhaltung) und Sanierung gegeben. Die wichtigsten Änderungen des 1989 erstmals aufgelegten Merkblattes werden im Folgenden kurz erläutert.


Wesentliche Änderungen

Der Gelbdruck des Merkblattes erschien im Mai 2011. Nach Ablauf der Frist für Stellungnahmen im Juli 2011, bereiten die Mitglieder der Arbeitsgruppe derzeit die Weißdrucklegung vor. Die nachfolgend vorgestellten Änderungen zur Vorgängerversion beziehen sich auf den Entwurf aus dem Mai 2011 sowie den bis Januar 2012 erfolgten Änderungen auf Grund der Einsprüche. Der Vergleich ist daher nicht abschließend.


Normative Verweisungen und Definitionen

Die Anpassung des Merkblattes an die jeweils aktuellen Ausgaben der verschiedenen Standards, welche bei seiner Anwendung zum tragen kommen, machte ein zusätzliches Kapitel mit normativen Verweisungen notwendig. Die ebenfalls neu mit aufgenommenen Begriffsdefinitionen entsprechen den jeweiligen Spezifizierungen aktueller Standards bzw. wurden um für das Verständnis des Merkblattes notwendige Begriffe erweitert.


Aufgabenstellung

Die Verweise auf die gemeinhin bekannten Aufträge der Grünflächenämter sowie der Ver- und Entsorgungsunternehmen, mit Hinsicht auf ihre zunächst scheinbar divergierenden Ziele, wurden nicht erneut mit aufgenommen.


Schadensursachen

Wechselwirkungen zwischen Bäumen und unterirdischen Leitungen münden regelmäßig in Schadensereignissen. Sie sind oftmals das Ergebnis einer vielfältigen ungeordneten Nutzung der zur Verfügung stehenden Fläche sowie des unterirdischen Raumes. Neben der Allgemeinen Betrachtung der Schadensursachen, werden im überarbeiteten Merkblatt zudem nun die Ursachen für Schäden an Bäumen und die Ursachen für Schäden an unterirdischen Leitungen gesondert angeführt.

Dieses Kapitel ersetzt und ergänzt das ehemals vorhandene Kapitel zur Beschreibung der Probleme welche sich aus dem Miteinander von Bäumen und Leitungen ergeben können.


Bau- und vegetationstechnische Grundlagen

Das neu hinzugekommene Kapitel zu Bau- und vegetationstechnischen Grundlagen vermittelt die notwendigen Kenntnisse über Bäume und Wurzeln und stellt die grundsätzlichen Bauweisen für Leitungen und Kanalisationen vor. Dichtheit, Wurzelfestigkeit und Rohrverbindungen werden nun eigens betrachtet.


Zusammenwirken der Beteiligten / Planung

Auf das rechtzeitige Zusammenwirken aller Beteiligten bei der Planung und Durchführung von Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen wird aktuell in den Kapiteln „Planung“ und „Vereinbarungen und allgemeingültige Regelungen“ eingegangen.


Bau und Schutzmaßnahmen

Zu den ebenfalls wichtigen Neuerungen zählt der Wegfall von dezidierten Angaben zu Abständen, welche bei Baumpflanzungen in der Nähe von Ver- und Entosrgungsleitungen hinsichtlich zu ergreifender Schutzmaßnahmen bislang einzuhalten empfohlen wurden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Entscheidung über den Einbau von Schutzmaßnahmen bzw. ein Verzicht auf diese, anhand der jeweils örtlichen Verhältnisse getroffen werden sollte. Ein Abstand in absoluten Werten, als Grundlage dieser Entscheidung, trägt der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen im Einzelfall nur unzureichend Rechnung. Als Planungsgrundsatz sollte nach [3] bzw. [2] zum Schutz des Baumes der Abstand der unterirdischen Leitungen (Außendurchmesser) das Vierfache des Baumumfanges in 1 m Höhe, mindestens 2,50 m von der Außenkante des Baumstammes betragen. Bei einer Unterschreitung des so definierten Mindestabstandes sind weiterführende Schutzmaßnahmen zu ergreifen.


Aktive Schutzmaßnahmen am Baumstandort

Die Berücksichtigung aktiver Schutzmaßnahmen wird insbesondere für die Neupflanzung von Bäumen in der Nähe eines Leitungsbestandes empfohlen. Hier ergibt sich eine sehr enge Verzahnung zu anderen Regelwerken, welche auf Optimierungsmöglichkeiten für Baumstandorte eingehen. Durch aktive Schutzmaßnahmen werden vorrangig Bereiche definiert, in denen das Wachstum von Wurzeln gefördert wird.


Passive Schutzmaßnahmen im Leitungsgraben

Hierunter sind Schutzmaßnahmen beschrieben, die sich beim direkten Neubau unterirdischer Leitungen empfehlen. Aufgrund der fortschreitenden Entwicklung von strukturoptimierten Grabenverfüllstoffen und ihrer zunehmenden Verwendung im Leitungsbau, werden diese nun explizit angesprochen. Durch passive Schutzmaßnahmen werden vorrangig Bereiche definiert, in denen das Wachstum von Wurzeln unerwünscht ist.


Wirtschaftlichkeit und Kostensystematik

Trotz wirtschaftlichen Druckes darf weder auf den Schutz von Leitungen noch auf den Schutz von Bäumen verzichtet werden. Diesbezügliche finanzielle Vorgaben können eine Entscheidung maßgeblich beeinflussen, insbesondere wenn die verschiedenen Kostenarten für Bäume und unterirdische Leitungen nicht bekannt sind oder nur unzulänglich abgeschätzt werden können. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung über Kosten der Interaktion von Bäumen und unterirdischen Leitungen wird daher ein wichtiger Bestandteil der Vorplanung.


Rahmenvereinbarung

Das überarbeitete Merkblatt enthält im informativen Anhang ein Muster einer Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit zum Schutz von Bäumen und unterirdischen Leitungen und Kanälen. Dieses Muster oder Teile daraus können als Ergänzung zu bestehenden Verträge zwischen den Beteiligten herangezogen werden.


Systemskizzen

Auf die Skizzierung des Einbaus von Leitungsschutzelementen bzw. des Baus von unterirdischen Ver- und Entsorgungsanlagen im Wurzelbereich vorhandener Bäume wurde zu Gunsten von Übersichtsgrafiken verzichtet. Mit ihrer Hilfe wird unter anderem das komplexe Gesamtsystem aus Baum, Boden und unterirdischen Leitungen veranschaulicht.


Zusammenfassung und Ausblick

Der Arbeitsgruppe ist es gelungen, ein Merkblatt zu erstellen, das eine gemeinsame Arbeitsgrundlage für die Betreiber unterirdischer Leitungen sowie Ver- und Entsorgungsanlagen, Baulasträger, Grünflächenämter und sonstiger Betroffener darstellt. Insbesondere konnte die Ausgangsposition für die Kommunikation, eine gemeinsame Sprachregelung und ein gemeinsames Verständnis geschaffen werden. Auf Basis dieses Verständnisses wird zunächst Hintergrundwissen vermittelt, um anschließend Lösungsmöglichkeiten zu beschreiben, wenn Ver- und Entsorgungsanlagen denselben Raum beanspruchen. Der rechtzeitigen Kommunikation und die Einbindung aller Betroffener in der Planungsphase kommt eine entscheidende Bedeutung im Sinne einer Konfliktvermeidung zu.

Grundlage der Kommunikation sind vertragliche Vereinbarungen oder Verträge, seien es bilaterale externe oder interne. Beispiel einer internen Vereinbarung wäre die Abstimmung zwischen Grünflächenamt und Tiefbauamt. Das Grünflächenamt plant, einen Baum in öffentlicher Verkehrsfläche zu pflanzen, z.B. in einem Parkstreifen, unter dem Leitungen verlaufen. Die Alternativen, Schutz der Leitungen gemäß Arbeitsblatt oder Verlegen der Leitungen in eine andere Trasse, wären zu prüfen. In beiden Fällen würde der Betreiber der Leitungen sich ans Tiefbauamt wenden und, sofern es der bilaterale Vertrag hergibt, Kosten geltend machen.

Das neue Merkblatt geht mit dem Aufzeichnen von Lösungsvarianten weg vom Entweder-Oder-Denken. Diese Ansätze sind den Mitarbeitern auf beiden Seiten durch Schulungen zu vermitteln. Schulungsinhalt wären, neben der Erhöhung des Verständnisses für die Belange der jeweils anderen Seite, Alternativen auf der eigenen Seite aufzuzeigen. So kann beispielsweise bei Bedarf auf kleinwüchsigere Baumarten ausgewichen oder unter bestimmten Voraussetzungen auf alternative Legeverfahren wie die grabenlose Verlegung, das Berstlining etc. zurückgegriffen werden. In der Regel planen Leitungsbetreiber die Trasse, das Material und die Montage, führen die Arbeiten aber nicht selbst durch, sondern vergeben Teile der Maßnahmen extern. Damit die Lösungsansätze greifen können, sind Leistungsverzeichnisse unter anderem für Tiefbau, Material und Montage anzupassen und die Mitarbeiter der Leistungserbringer entsprechend zu schulen.

Zur Minimierung von Konflikten und zur Steigerung der Effizienz, wurde bereits in der ersten Ausgabe des Merkblattes von 1989 auf die Einrichtung von Koordinierungsstellen (KOST) verwiesen. Heute sind diese bei einigen Kommunen und Kreise als regelmäßig stattfindende Ver- und Entsorgertreffen umgesetzt. Bei den Kommunen und Kreisen, die diese Treffen in die Praxis umgesetzt haben, liegen sehr gute Erfahrungen mit dieser Form der zentralen Koordination vor [5]. Einbezogen in diese Treffen, die ebenfalls der Abstimmung von Projekten dienen, sind die Tiefbauämter sowie der schienengebundene ÖPNV. Für zukünftige Treffen ist hier jedoch die Einbeziehung der betroffenen Grünflächenamter zu überdenken, wie es der Ursprungsgedanke der Koordinierungsstellen vorsieht. Erst dann können die Möglichkeiten, die das überarbeitete Merkblatt hergibt, voll ausgeschöpft werden. Letztendlich lässt sich das Merkblatt auf einen Punkt reduzieren:

Rechtzeitig aufeinander zugehen und miteinander kommunizieren – ohne Kommunikation keine Lösungen.



Literatur
[1] DIN – Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.) (1978): DIN 1998. Unterbringung von Leitungen und Anlagen in öffentlichen Flächen; Richtlinien für die Planung. Beuth, Berlin.

[2] DIN – Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.) (2002): DIN 18920. Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Pflanzbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen. Beuth, Berlin.

[3] FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (Hrsg.) (1999): RAS-LP 4. Richtlinien für die Anlage von Straßen – Teil: Landschaftsgestaltung, Abschnitt 4: Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen. FGSV, Köln.

[4] FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (Hrsg.) (2010): Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2: Standortvorbereitungen für Neupflanzungen; Pflanzgruben und Wurzelraumerweiterung, Bauweisen und Substrate. FLL, Bonn.

[5] SCHMIDT, J. (2005): Die Osnabrücker "KOST" – ein Model zur Koordinierung von Baumaßnahmen und Verminderung von Konflikten. In: Dujesiefken, D. Kockerbeck, P. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2005. Haymarket Media, Braunschweig.