DEN BLICK NACH UNTEN LENKEN
Quelle: TASPO BaumZeitung, 01/2017, S. 24-27
Jörn A. Benk , Michael-Müller Inkmann, Markus Streckenbach und Katharina WelteckeBaumkontrolleure berücksichtigen bei der Baumansprache oft nicht oder nur in geringem Umfang bodenkundliche Parameter – der untere Teil des Baumes findet nahezu keine Berücksichtigung. Dies möchte der neue Arbeitskreis Baum im Boden ändern.
Einleitung
1984 hielt Dr. Alex Shigo auf einem ISA-Seminar in Heidelberg einen Vortrag, der baumbiologische Aspekte zur Grundlage der modernen Baumpflege machte und beendete damit die Ära der bis dahin praktizierten „Baumchirurgie“. In den Folgejahren entwickelte sich die Forschung und Lehre mit Schwung bis zu den heutigen Standards der Baumkontrolle. Dabei hat die Bewertung des Boden- und Wurzelraumes am Baumstandort nicht mit den Weiterentwicklungen bei der Baumansprache Schritt gehalten. Dies führt regelmäßig zu einer Vernachlässigung des unteren Teiles des Baumes mit entsprechend eingeschränktem Diagnosespektrum.
Die Folge ist, dass beispielsweise bei Pflege- und Vorsorgeempfehlungen, Schadensdiagnosen, Behandlungsmaßnahmen oder Prognosen weitgehend auf die Beachtung von boden- und wurzelkundlichen Aspekten verzichtet wird.Damit bleiben entscheidende Parameter schlichtweg unbeachtet.
Die Folgen einer solchen eingeschränkten Betrachtungsweise können soweit reichen, dass auch juristisch gesehen die vermeintlich fachkundigen Maßnahmenempfehlungen auf einer nur unzureichend erfassten Datengrundlage erfolgen und somit im Falle eines Schadens nicht hinreichend begründbar bzw. belastbar sein können. Ein im geschichtlichen Kontext vollauf erklärbarer, aber kaum mehr haltbarer Zustand.
Aus gutem Grund werden einem Baumkontrolleur Mindestkenntnisse in der Pilzkunde und dem Artenschutz, mitunter sogar im Nachbarschaftsrecht abverlangt. Da darf der Baum selbst nicht mehr länger auf seine vollständige Beachtung warten, bildet er doch mit seiner Krone, dem Stamm, seinen Wurzeln und dem ihn umgebenden Boden zeit seines Lebens eine untrennbare Einheit.
Im Sinne einer nachhaltigen Baumpflege, eines urbanen Baummanagementes und des berechtigten Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung ist die Vernachlässigung der boden- und wurzelkundlichen Parameter nicht weiter zu rechtfertigen. Dies ist umso weniger der Fall, wenn man die klimatischen Veränderungen mit in die Betrachtungen einbezieht, die eine Vielzahl neuer Herausforderungen für die nachhaltige Baumpflege mit sich bringen.
Neuer Arbeitskreis fordert eine Erweiterung der Baumkontrolle
Damit die Baumansprache in Zukunft nicht mehr nur eingeschränkt stattfindet, bedarf es einheitlicher und praxistauglicher Parameter zur Wurzelraumansprache , einer Fortbildung der Baumkontrolleure und -pfleger, einer entsprechenden Erweiterung der Kontrollformulare und eines Maßnahmenkataloges zum korrekten Umgang mit schädlichen Bodenveränderungen. Vor diesem Hintergrund hat sich ein interdisziplinär zusammengesetzter Arbeitskreis gebildet, mit dem Ziel eine Richtlinie zu erarbeiten, die sich den zuvor gestellten Forderungen widmet.
Boden-Baumkundliche Parameter
Der Arbeitskreis „Baum im Boden“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, baum- und bodenkundliche Standardparameter auszuwählen und zu deren Bewertung Kriterien zu definieren, sowie Methoden zu beschreiben, die sich mit den Anforderungen an eine visuell/haptische Wurzelraumansprache in einer hinreichend kurzen Zeit vereinbaren lassen.
Diese Methoden müssen schnell zu erfassende, praxistaugliche, erprobte, aussagekräftige und damit belastbare Beurteilungskriterien enthalten, mit denen die Baumansprache um die Bewertung des Wurzelraumes vervollständigt werden kann. Man kann es also voerst eine integrierende Baumansprache nennen. Voerst deshalb, weil im Begriff „Baum“ die Wurzel ja eigentlich schon implizit ist. Die Ergebnisse sollen veröffentlicht und diskutiert werden, um eine allgemeine Anerkennung zu erreichen und die Baumkontrollrichtlinien konsensfähig zu ergänzen.
Eine Auswahl zeigt bereits die große Bandbreite möglicher Merkmale, die der Erfassung einer integrierenden Baumansprache dienlich sein können.
Viele der aufgelisteten Punkte müssen nur einmalig bei der Erstaufnahme aufgenommen werden, sodass während der Regelkontrolle die bestehenden Daten nur in Hinblick auf Veränderungen zu aktualisieren sind.
Dazu sind neben der visuellen, haptischen und olfaktorischen Ansprache zum Teil einfach zu gebrauchende Hilfsmittel anwendbar, die in kurzer Zeit entsprechende Ergebnisse liefern wie beispielsweise:
Messer, Sonde, Fingerprobe, Zeigerpflanzen (Nässezeiger, Verdichtungszeiger, Stickstoffzeiger,..)
Die einfache visuelle Wurzelraumkontrolle kann unter Umständen zu einer intensiven visuellen Wurzelraumuntersuchung führen. Dabei kann der Zustand mit Hilfe von einfach durchführbaren Methoden eingeschätzt werden, wie z.B. Belüftungsstörungen durch Einsatz von Eisennägeln (Müller-Inkmann et al. 2016).
Ergebnisse der integrierenden Begutachtung
Analog zur bisherigen Baumansprache wird auf Grundlage der Ergebnisse der integrierenden Baumansprache eine Diagnose gestellt und ggf. Maßnahmen empfohlen.
Ebenso wie beim oberirdischen Teil des Baumes, kann das Ergebnis der um die Wurzelraumansprache erweiterten Baumkontrolle jedoch auch sein, eine eingehende Untersuchung zur abschließenden Beurteilung zu empfehlen (z. B. wenn aufgrund der Standortfaktoren eine visuelle Einschätzung nicht möglich ist oder wenn ein Schadstoffeintrag vermutet wird).
Untersuchungsmethoden
Der Bereich „Untersuchungsmethoden“ betrifft die Auswahl geeigneter Methoden zur eingehenden Untersuchung des Wurzelraumes am Standort eines Baumes. Zum einen hat man es hier mit einem Standort zu tun, an dem nur weitgehend zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden in Frage kommen. Zum anderen Bedarf es auf der Baumscheibe eines behutsamen Umgangs mit dem Baum, so dass in aller Regel nur wenig belastende Methoden geeignet sind.
Die eingehenden Untersuchungen müssen darüber hinaus möglichst praktikabel, dabei effizient und preiswert sein, um sie im Gutachteralltag zu etablieren und Akzeptanz bei den Auftraggebern zu finden.
Hilfsmittel wie beispielsweise pH-Meter, Salzsäure, Lupe, Bohrstock, Grabespaten, Görbingspaten können die eingehende Untersuchung unterstützen.
Sanierungsmaßnahmen
Der Bereich „Sanierungsmaßnahmen“ betrifft die Auswahl geeigneter potentieller Sanierungsmaßnahmen im Wurzelraum eines Baumes. Baumdenkmäler und Baumveteranen erfordern im Besonderen sehr gezielt platzierte Maßnahmen, für die häufig ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Bodenphysikalische Meliorationen werden z. B. mit Belüftungsgeräten durchgeführt, die mithilfe von Druckluftlanzen verdichteten Boden auflockern, um dann im selben Arbeitsschritt die entstandenen Risse mit evtl. Granulat zu füllen.
Jörn A. Benk verwendet zurzeit Anpflanzungen von z. B. Waldstaudenroggen, , um nach einer Bodenbelüftung eine Strukturstabilisierung zu erwirken.
Chemisch-biologische Behandlungen (Mykorrhiza, gezielte Düngung, etc.) werden inzwischen erfolgreich routinemäßig und professionell eingesetzt.
Die Auswahl der Untersuchungsparameter und Meliorationsmaßnahmenmuss jetzt federführend von Bodenkundlern betrachtet und bewertet werden, um dann ergänzend von Fachleuten der Baumpflegebranche auf ihre Praxistauglichkeit geprüft zu werden.
Struktur/Arbeitsweise
Um praxisnahe und belastbare Parameter zu ermitteln, beziehungsweise deren Zusammenstellung zu diskutieren, trifft sich der sechsköpfige Kernarbeitskreis „Baum im Boden“ an wechselnden Standorten etwa 4-5 mal im Jahr ehrenamtlich, um in absehbarer Zeit ein Ergebnis erarbeitet zu haben. Regularien und Zeitspannen werden jeweils bedarfsgerecht von der Gruppe festgelegt. Die Autoren haben an verschiedenen Stellen innerhalb der Baumpflege mit Vorträgen und redaktionellen Beiträgen ein durchweg zustimmendes Interesse festgestellt, sodass berechtigte Aussicht darauf besteht, dass die Ergebnisse des Arbeitskreises seinen Niederschlag in der zukünftigen Baumpflegepraxis finden werden.
Ebenso angeregt wurde bereits die Ergänzung der Baumkontrollrichtlinien der FLL sowie des Richtlinienwerks „ZTV-Baumpflege“ um die geforderten bodenkundlichen Anteile, da Auftraggeber und Auftragnehmer diese Zusammenstellung in aller Regel als anerkannten Standard für die Ausführung verwenden.
Die Autoren empfehlen darüber hinaus, während der Ausbildung zum Baumfachmann bzw. zur Baumfachfrau (zertifizierter Baumkontrolleur, European Treeworker, etc.) den bodenkundlichen Aspekt adäquat zu vermitteln.
Ergänzend dazu sollten Fortbildungen zur Wurzelraumansprache für Baumpfleger an den verschiedenen Einrichtungen angeboten werden. Neue Erkenntnisse zum Baum im Boden sollen ihren Weg über Veröffentlichungen, Vorträge und Poster in Zukunft ebenso in die Fachwelt finden, wie sie es zu den oberirdischen Teilen der Bäume seit dem Beginn der neuen Baumbiologie tun.
Literatur
MÜLLER-INKMANN, M.; AVERDIEK, A.; FRÜND, H.-C. (2016): Eisenstäbe zur Erfassung der Bodenbelüftung.AFZ-Der Wald 8/2016, S. 22-24.FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (Hrsg.) (2006): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege. FLL, Bonn, 71 S.
FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (Hrsg.) (1999): RAS-LP 4. Richtlinien für die Anlage von Straßen – Teil: Landschaftsgestaltung, Abschnitt 4: Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen. FGSV, Köln, 32 S.
Bekanntmachung der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 1. Februar 2000 Az.: IIZ7-4021.3-001/00
DIN – Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.) (2002): DIN 18920. Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Pflanzbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen. Beuth, Berlin, 6 S.
