WIE SICH WURZELN REGENERIEREN
Quelle: TASPO BaumZeitung, 01/2014, S. 26-28
Dipl.–Biol. Dr. Markus StreckenbachDas Durchtrennen von Baumwurzeln kann aus verschiedenen Gründen, wie beispielsweise bei der Verpflanzung von Großbäumen, unausweichlich sein. Mit Blick auf entsprechende Hinweise aus aktuellen Regelwerken, welche auch die korrekte Ausführung erläutern (u.a. DIN 18920, RAS-LP 4, ZTV-Baumpflege), unterstreichen die im Folgenden dargestellten Beobachtungen von Wundreaktionen an Wurzeln die Dringlichkeit eines besonnenen und differenzierten Vorgehens bei der Umsetzung von notwendigen Eingriffen im Wurzelraum.
Einleitung
Während der Durchführung von baumpflegerischen Maßnahmen kommt es, durch den Einsatz von schneidenden oder sägenden Werkzeugen, unweigerlich zu Verletzungen der Gehölze. Auf die hierbei entstehenden Wunden reagieren Bäume nach einem universellen Prinzip, welches unabhängig von der Ursache der Beschädigung über pflanzliche Hormone vermittelt wird. Anders als bei tierischen Organismen, die in einem unterschiedlichem Maße dazu befähigt sind verletzte Gewebe durch die Bildung gleicher Gewebe an der Verletzungsstelle zu ersetzen, ist diese Form der Wundverheilung bei Pflanzen jedoch nicht möglich.
Im Gegensatz hierzu schotten Bäume zunächst die hinter der Verletzungsstelle liegenden Gewebe ab. Zu den bereits vorhandenen strukturellen Barrieren, werden durch den Verschluss von Gefäßen Versorgungsbahnen aufgegeben und chemische Abwehrstoffe in Wundnähe eingelagert. Dieses Vorgehen dient dazu, einen Vormarsch von Krankheitserregern, die über die Verletzungen Zugang in die Gehölze finden, zu erschweren. Zusätzlich wird die Teilungsaktivität kambialer Zellen im Bereich der Läsion (an den Wundrändern und ggf. auf der Wundfläche) mit dem Ziel erhöht, die durch die Verletzung freiliegenden Gewebe mit Kallusgewebe zu überwallen.
Ein erfolgreicher Wundverschluss führt dazu, dass bereits eingedrungenen Schadorganismen sprichwörtlich die Luft zum Atmen genommen wird. Durch die fortschreitende Unterversorgung mit Sauerstoff kommt ihr Wachstum letztlich zum Erliegen. Die Verletzung selbst, d.h. abgestorbene oder aktiv modifizierte Gewebe, bleiben jedoch zeitlebens erhalten. Der Begriff der "Wundverheilung" kann daher missverständlich aufgefasst werden. Die hier stark vereinfacht dargestellten Zusammenhänge sind das Ergebnis zahlreicher Untersuchungen zu den Wundreaktionen von Bäumen (u.a. [6], [2]).
Der hohen Anzahl von Studien an Stämmen und ästen, steht eine überschaubare Anzahl von entsprechenden Untersuchungen an Wurzeln gegenüber. Dies ist unter anderem darin begründet, dass ausdifferenzierte Wurzeln im Wesentlichen dieselben Wundreaktionen zeigen, wie sie an den oberirdischen Teilen der Bäume auftreten [10]. Im Gegensatz dazu schotten Wurzeln Verwundungen im Allgemeinen effektiver ab, als dies bei den Sprossen der Fall ist und sie entwickeln sich in einer vollständig anderen Umgebung, welche einen direkten Einfluss auf die Wundreaktion haben kann.
Regeneration von Wurzeln
Obwohl Wurzeln eher selten Gegenstand baumpflegerischer Maßnahmen sind, werfen vor allem die Folgen der ihnen mehrheitlich unkontrolliert beigebrachten Verletzungen wichtige Fragen auf. Dies gilt um so mehr, als dass nicht erfolgreich abgeschottete Wunden an Wurzeln potenzielle Eintrittspforten für bodenbürtige Schadorganismen sind, deren Vorhandensein und Wachstum oftmals über viele Jahre hinweg vollständig unbemerkt bleibt.
Entgegen den Hinweisen aktueller Normen und Regelwerke, werden Aufgrabungen im Nahbereich von Bäumen in aller Regel nicht per Hand durchgeführt. Statt dessen kommen Maschinen zu Einsatz, deren rücksichtsloser Gebrauch schwere Verletzungen im Wurzelbereich nach sich ziehen kann. Auf diese Weise entstehen regelmäßig großflächige Wunden, die insbesondere im Fall von Spleißungen nicht mehr überwallt werden können und somit immerwährende, klaffende Verletzungen darstellen, über die Wund- und Schwächeparasiten Zugang in den Baum erhalten.
Müssen Wurzeln durchtrennt werden, so wird bei solchen mit größeren Durchmessern sowohl das glatte Abtrennen bzw. ein glattes Nachschneiden sowie der Auftrag von Wundverschlussmitteln empfohlen. Hierdurch wird nicht nur die Größe der Wundfläche reduziert, sondern die verbleibende Wurzel zeitgleich gegen das Austrocknen geschützt.
Analog zur oben angesprochenen Kallusbildung an Sprossen, können auch Wurzeln dieses Wundgewebe ausbilden. In Abhängigkeit vom Alter der Wurzel, der Baumart und den Umgebungsbedingungen, ist ein erfolgreicher Verschluss der Wunde jedoch nur bedingt zu erwarten. Im Versuch zeigten auch jüngere Wurzeln mit geringen Durchmessern ein Ausbleiben der Entwicklung von Wundgewebe.
Untersuchungen an Jungbäumen
Vor dem Hintergrund der Frage, ob das im Vergleich zu den Laubgehölzen, bei vielen Nadelgehölzen zu beobachtende geringere Regenerationsvermögen der Sprosse als Reaktion auf eine Verwundung ("Austreiben") auch an ihren Wurzeln beobachtet werden kann, wurden an jungen Exemplaren verschiedener Baumarten aus den Gattungen Ahorn, Eibe, Götterbaum, Ginkgo, Kiefer und Lebensbaum Versuche durchgeführt.
Hierzu wurden Jungpflanzen nach dem glatten Rückschnitt der Wurzeln im Spätsommer bzw. Herbst, für eine Vegetationsperiode im Freiland kultiviert und danach auf die bis dahin erfolgte Wundreaktion untersucht. Zusammenfassend ließ sich festhalten, dass die Ausbildung von Wundgewebe generell kaum zu beobachten war und sich hinsichtlich der Neubildung von Wurzeln drei unterschiedliche Reaktionstypen identifizieren ließen [9].
Bei Kiefer und Eibe degenerierten die abgetrennten Wurzeln ohne Adventivwurzeln zu bilden. Bei Ahorn und Götterbaum entwickelten sich maximal bis zu fünf Adventivwurzeln an den Schnittstellen und bei Ginkgo und Lebensbaum lag ihre Anzahl zum Teil deutlich darüber. Die Ergebnisse bestätigten, dass die Intensität der Regeneration sowohl von den Umgebungsbedingungen als auch vom Zeitpunkt des Rückschnittes abhängt.
Die Wurzeln der Laubgehölze reagieren auf einen Rückschnitt im winterkahlen Zustand der Sprosse (Ruhephase) mit der Bildung einer größeren Anzahl von Adventivwurzeln, als dies bei einem Rückschnitt im belaubten Zustand der Fall ist. Die Vermutung, dass das Regenerationsvermögen jedoch von der Großgruppenzugehörigkeit (Laubgehölz/Nadelgehölz) abhängt, bestätige sich indes nicht.
Untersuchungen an verpflanzten Großbäumen
Während der Anlage eines Versuchsstandes mit 24 maschinell verpflanzten Großbäumen in der Stadt Osnabrück ergab sich die Gelegenheit, das Regenerationsverhalten von durchtrennten Schwach-, Grob- und Starkwurzeln zu begutachten [7]. Etwa acht Monate nach dem glatten Rückschnitt der Wurzeln, der Wundversorgung und der Anlage von Rehabilitationszonen im Bereich der Schnittstellen, wurden die Wurzelräume verschiedener Baumarten zur Dokumentation freigelegt [8]. Hierbei zeigten sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Wundkallusbildung und der Entwicklung von Adventivwurzeln an den Wunden.
Beide Entwicklungen unterblieben bei einer etwa 5,5 cm starken Grobwurzel einer Linde, mehrere Schwachwurzeln einer Platane mit Durchmessern von etwa 1,5 cm hatten zahlreiche Adventivwurzeln, jedoch keinen Wundkallus ausgebildet und zwei Starkwurzeln einer Esche mit Durchmessern von jeweils etwa 3,5 cm, zeigten eine massive Bildung von Wundkallus, jedoch keine Adventivwurzelbildung.
Die Ergebnisse einer weiteren Probeschachtung, 19 Monate nach der Anlage der Rehabilitationszonen, bestätigte die im Vorjahr beobachteten Tendenzen. An der freigelegten Wurzel der Linde hatte sich in der Zwischenzeit ein geringer Neuaustrieb gebildet. Die Anzahl und der Verzweigungsgrad der neu gebildeten Wurzeln an der Schnittstelle der Platanenwurzel hatte in der Zwischenzeit deutlich zugenommen und die Wundkallusbildung an den Wurzeln der Esche war, bei gleichzeitiger Entwicklung eines spärlichen Neuaustriebes, nur unwesentlich fortgeschritten.
Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen, dass Wurzeln mit zunehmenden Alter in einem erhöhten Maße die Fähigkeit zur Adventivwurzelbildung und damit zur Regeneration verlieren. Zudem scheint der Wurzeldurchmesser zum Zeitpunkt des Rückschnitts, bei ansonsten gleich guten Umgebungsbedingungen, einen größeren Einfluss auf die Adventivwurzelbildung und damit auf die Regenerationsintensität zu haben, als die baumartbedingten Eigenschaften. Hinsichtlich der Wundkallusbildung zeigen sich bei den jeweiligen Baumarten deutliche Parallelen zwischen Sprossen und Wurzeln. So weißt beispielsweise die ringporige Esche, ganzjährig eine starke überwallung von Wundrändern auf [3]. Die kräftige Ausbildung von Kallusgewebe, wurde entsprechend auch an den durchtrennten Grobwurzeln des hier begutachteten Exemplars dieser Art beobachtet.
Der Versuchsaufbau ist mangels einer Vergleichsmöglichkeit jedoch nicht dazu geeignet, den ohne Zweifel bestehenden großen Einfluss der Bodeneigenschaften auf die Wundreaktionen von Wurzeln zu untersuchen. Der Einsatz eines hochqualitativen, porenreichen und strukturstabilen Substrates im Bereich der angelegten Rehabilitationszonen erlaubt lediglich den Rückschluss, das überaus gute Bodeneigenschaften hinsichtlich der Verfügbarkeit von Bodenluft und Bodenfeuchtigkeit, der Regeneration von Wurzeln in einem hohen Maße zuträglich sind. Die sich in ihrem Zustand kaum veränderten Stark- und Grobwurzeln der Linde und der Esche zeigen jedoch, das gute Umgebungsbedingungen allein kein Garant für eine erfolgreiche Regeneration von durchtrennten Wurzeln sind.
Resümee
Die Beobachtungen geben unter anderem Hinweise darauf, dass sich die Regenerationsfähigkeit von durchtrennten Wurzeln, d.h. das vermögen Adventivwurzeln auszubilden, beim übergang vom Schwachwurzel- in den Grobwurzelbereich deutlich verändert. Dies unterstreicht die Bedeutung der Hinweise aus den Regelwerken, stärkere Wurzeln nicht zu durchtrennen, sondern nach Möglichkeit unversehrt zu lassen. Im Versuch regenerierten Wurzeln mit stärkeren Durchmessern nicht nur sehr viel langsamer als dünnere Wurzeln, sondern darüber hinaus auch mit einer demgegenüber deutlich geringeren Anzahl von neu gebildeten Adventivwurzeln an den Schnittstellen. Zusätzlich zeigte sich, dass nicht alle Baumarten auf einen Rückschnitt von etwa gleich starken und gleich alten Wurzeln in demselben Maße reagieren, was die Notwendigkeit einer differenzierten Abschätzung der Folgen von geplanten Eingriffen im Wurzelbereich verschiedener Baumarten hervorhebt.
Literatur
[1] DIN – Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.) (2002): DIN 18920. Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Pflanzbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen. Beuth, Berlin, 6 S.[2] DUJESIEFKEN, D.; LIESE, W. (2006): Die Wundreaktion von Bäumen – CODIT heute. In: DUJESIEFKEN, D.; KOCKERBECK, P. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2006. Thalacker Medien, Braunschweig, 21–40.
[3] DUJESIEFKEN, D.; LIESE, W. (2008): Das CODIT-Prinzip. Von den Bäumen lernen für eine Fachgerechte Baumpflege. Haymarket Media, Braunschweig, 159 S.
[4] FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (Hrsg.) (1999): RAS-LP 4. Richtlinien für die Anlage von Straßen – Teil: Landschaftsgestaltung, Abschnitt 4: Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen. FGSV, Köln, 32 S.
[5] FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (Hrsg.) (2006): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege. FLL, Bonn, 71 S.
[6] SHIGO, A.L. (1990): Die neue Baumbiologie: Fakten, Fotos und Betrachtungen über Bäume, ihre Probleme und ihre richtige Pflege. Thalacker, Braunschweig, 606 S.
[7] STRECKENBACH, M. (2012): Das andere Ende des Baumes. Wurzeln als Komponente der städtischen unterirdischen Infrastruktur begreifen. bi-GaLaBau 5-6:10–14.
[8] STRECKENBACH, M.; Schröder, K. (2012): Wurzelregeneration verpflanzter Großbäume. AFZ-DerWald 67:40–43.
[9] STRECKENBACH, M. (2009): Interaktionen zwischen Wurzeln und unterirdischer technischer Infrastruktur – Grundlagen und Strategien zur Problemvermeidung. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Biologie und Biotechnologie.
[10] WATSON, G. (2008): Discoloration and decay in severed tree roots. Arboriculture & Urban Forestry 34:260–264.
