SCHÄDEN DURCH WURZELN VON GEHÖLZEN
Quelle: Tagungsband der 19. Österreichischen Baumpflegetagung 2008, Wien.
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach,Prof. Dr. Thomas Stützel, Dr.–Ing. PD Bert Bosseler
Verschiedene Arten von Schäden
Als erstes fallen einem hier die Verwurzelungen von Rohrleitungen ein, unter Umständen mit der Folge völliger Blockierung. Blockierungen können plötzlich und ohne Vorankündigung auftreten. Der wirtschaftliche Schaden ist beträchtlich, ebenso die Einschränkungen für den betroffenen Personenkreis. Eine nicht funktionierende Entwässerung wird meist als deutlich gravierendere Störung empfunden als eine ausgefallene Wasserversorgung.
Einen zweiten wichtigen Block bilden die Schäden an Fahrbahn- und Gehwegbelägen. Interessanterweise scheint die Häufigkeit solcher Schäden mit sinkender Nutzungsintensität zu steigen. An Gebäuden verursachen Gehölze nicht nur an begrünten Dächern sondern auch an Mauern zum Teil erhebliche Schäden.
Allen Schäden ist gemeinsam, dass man über die Ursachen viel spekuliert, aber wenig gesichertes, das heißt durch Experimente geprüftes Wissen hat. Die früher gerne gepflegt Lösung, nämlich Gehölze aus potentiell gefährdeten Bereichen heraus zu halten oder die Werke der Bauingenieure von Pflanzungen fern zu halten, erweist sich immer mehr als Sackgasse. Viele sinnvolle Vorschriften von der Feinstaubverordnung bis zur Lärmschutzverordnung sind nur realisierbar, wenn es gelingt, Leitungs- und Wegebau so mit Gehölzpflanzungen zu kombinieren, dass diese Schäden vermieden werden. Die Vermutung, dass das gehen müsste, ergibt sich schon daraus, dass solche Schäden durchaus nicht zwingend vorkommen.
Schäden an Kanälen
Problembeschreibung und aktueller Kenntnisstand
In der Regel wurde angenommen, dass das in den Rohren fließende Wasser den Stimulus für das Einwachsen liefert. Voraussetzung wäre dann eine wenn auch minimale Undichtigkeit der Rohrverbindung, damit die Wurzel diese entlang eines Feuchtigkeitsgradienten finden kann. Bereits in unseren ersten Untersuchungen konnten wir zeigen, dass diese zunächst einleuchtende Vermutung nicht mit der Realität übereinstimmen kann. Wertet man Inspektionsvideos aus, so zeigt sich, dass die eindringenden Wurzeln an den Rohrverbindungen regelrechte Vorhänge oder Polster bilden, die aber überwiegend über der mittleren Wasserlinie liegen.
Analysiert man Schadensfälle genauer, so sieht man, dass die Eintrittsstelle der Wurzeln in das Rohr oberhalb der mittleren Wasserlinie im Rohr liegt. Lecks können aber nur unterhalb der Wasserlinie zu Wasserverlust führen, oberhalb eindringende Wurzeln passen nicht zu den gängigen Vorstellungen. Da Wurzeln durch Mauerwerk in Keller oder durch Dichtungsbahnen hindurch in Räume unter Flachdächern einwachsen, ohne dass von dort Flüssigkeit als Stimulus ausgehen kann, wären auch ohne nähere Untersuchungen an der “Leck-Hypothese” erhebliche Zweifel angebracht gewesen. Die gängigen Prüfverfahren zur Wurzelfestigkeit von Rohrverbindungen zielen darauf ab, aus der Dichtheit bei Scherlastwirkung auf die Festigkeit gegenüber Wurzelwuchs zu schließen. Sie legen damit eine Hypothese zum Wurzeleinwuchs zugrunde, die weder durch die bisherigen Beobachtungen bestätigt noch einer experimentellen Überprüfung unterzogen wurde.
Wir haben in einer vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MUNLV) des Landes NRW geförderten Studie zeigen können, dass Wurzeln das Rohr entlang eines Dichtegradienten finden und nicht entlang eines Feuchtegradienten. Wir konnten auch zeigen dass die von Wurzeln aufgebrachten Kräfte weit über den Werten liegen, denen die meisten Rohrverbindungen widerstehen können. Diese Untersuchungen liegen als Abschlußbericht für das MUNLV NRW frei verfügbar im Internet vor (download unter www.ikt.de). Im Folgenden soll deswegen nur auf die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie Bezug genommen werden, und dann die Ergebnisse der seither durchgeführten Arbeiten vorgestellt werden. Offen geblieben war, wie die Wurzel die Dichtung selbst überwindet, da die Dichtung in jedem Fall der Wurzel einen größeren Widerstand bietet als der davor liegende Ringspalt. Das sogenannte Dichtefallenmodell erscheint deswegen für den eigentlichen Eindringvorgang problematisch.
Offen geblieben war auch, wie groß das Problem in der Realität tatsächlich ist. Es gibt zwar die bekannten Schäden. Es gibt sogar Versicherungen, die versuchen die Schadensregulierung mit der Begründung abzulehnen, schon das Vorhandensein eines Baumes in der Nähe einer Rohrleitung erfülle bereits den Tatbestand der Fahrlässigkeit. Abgesehen davon dass sich diese Versicherungen bisher mit dieser Auffassung nicht durchsetzen konnten, muss die Zahl der Schäden auch in Relation zu der Zahl der möglichen Kontakte von Wurzel und Leitung gesehen werden. Hier war es bei Untersuchungen an Leitungssystemen in den aufgegebenen Ortschaften des Braunkohletagebaus Garzweiler II erstmals möglich, auch Ausgrabungen zu machen, wo zwar Interaktionen erwartet wurden, aber keine Schäden aufgetreten waren. Wir konnten hier analysieren, wie der Wurzelverlauf war und warum nichts passiert war. Außerdem haben wir in Pflanzversuchen untersucht, wie der eigentlich Eindringungsvorgang der Wurzel in das Rohr abläuft und auch erste Experimente dazu gemacht, wie sich dies möglichst kostengünstig verhindern lässt.
Zusammenfassung der Ergebnisse früherer Untersuchungen
Die Wurzelhaube (Calyptra) der Wurzel ist kein Schutzorgan, sondern das eigentliche aktive “Bohrsystem”. Die voraus geschobene, in den äußeren Schichten plastisch verformbare Wurzelhaube leitet die Wurzel in die Richtung der geringsten Substratdichte bzw. in Hohlräume hinein. In Hohlräumen des Substrates oder in Rohren wird die feuchte Calyptra durch Adhäsionskräfte an der Oberfläche des angrenzenden Substrates festgehalten und in den weiter proximal anschließenden Bereichen durch Wurzelhaare an der Wand des Hohlraumes fixiert.
Im Rohr sterben Wurzeln, die in Schmutzwasser eintauchen, relativ rasch ab und werden durch Detergenzien mazeriert. Dieser Prozess ist je nach Art der Schmutzwässer innerhalb weniger Tage abgeschlossen. In Regenwasserrohren vertrocknen die Wurzeln in Phasen ohne Regen, werden aber nicht zerstört, sondern bilden dicke Matten auf der Kanalsohle. Über den eigentlichen Penetrationsvorgang konnte wenig ermittelt werden. Es war lediglich klar, dass die Überwindung der Dichtung nicht auf dem kürzesten Weg direkt erfolgt, sondern dass zuerst der gesamte Ringspalt durch Wurzeln ausgefüllt wird und erst danach die Dichtung überwunden wird. Es war auch klar, dass dieser Vorgang mehrere Jahre dauern kann. Sicher nachgewiesen wurden Zeiträume von 5 Jahren vom Erreichen des Ringspaltes bis zum Überwinden der Dichtung. Diese Zeiträume sind unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung von Bedeutung, sie ist nämlich normalerweise abgelaufen, bevor ein Schaden eintritt. Dies erklärt möglicherweise auch, warum es praktisch keine experimentellen Untersuchungen zur Wirksamkeit der am Markt angebotenen Schutz-Produkte gibt.
Der zeitliche Verlauf von Abtötung und Mazeration von Wurzeln wurde in Laborversuchen in Schmutzwasser untersucht. In Wachstumsversuchen wurde direkt gemessen, welche Kräfte Wurzeln an der Spitze in Längsrichtung und in radialer Richtung ausüben können. Dabei wurden Werte von deutlich über 10 bar festgestellt. Das bedeutet, dass Rohrverbindungen nur bei kleinen Nennweiten und auch bei diesen nur von wenigen Systemen auf Unüberwindbarkeit ausgelegt werden können. Ziel war es daher, in weiteren Studien Kombinationen von Rohrverbindungen, Bettungs- und Verfüllmaterialien zu finden, die im Verein die geforderte Sicherheit vor Durchwurzelungen aufweisen.
Ergebnisse der neuen Studien
Einwuchsexperimente mit Weidenstecklingen
In diesen zuerst von einer australischen Arbeitsgruppe durchgeführten “outside-in”-Versuchen wird eine Rohrverbindung so senkrecht gestellt, dass das Glockenende der Verbindung nach oben zeigt. Das eingeschobene Spitzende wird durch einen umgestülpten Blumentopf verschlossen und die ganze Anordung von einem von einem weiteren Blumentopf eingehüllt. Die Anordnung wird dann mit Gartenerde gefüllt und mit Weidensteckhölzern direkt über dem offenen Ringspalt versehen. Auf diese Weise lassen sich innerhalb einiger Wochen zuverlässig eingewurzelte Ringspalte erzielen. Im weiteren Verlauf kann ebenso zuverlässig der Vorgang der Überwindung der Dichtung und auch der zeitliche Verlauf untersucht werden. Die Überwindung folgte in allen Fällen demselben Schema.
In den Ringspalt eingedrungene Wurzeln wachsen dabei auf der Dichtung um das Rohr herum. Seitenwurzeln dieser anliegenden Wurzeln dringen aus dem inneren der Wurzel exakt im rechten Winkel hervor. Da die Kraft senkrecht ausgeübt wird und auch kein Raum für seitliches Ausweichen der Wurzelspitze vorhanden ist, kann die Wurzel den physiologisch maximal möglichen Druck auf die Stelle ausüben, an der Rohr und Dichtung aneinander anliegen. Selbst durch feinste Kratzer am äußeren Rand der Dichtungslippe wird der Eindringungsvorgang offenbar deutlich begünstigt.
Dies ist wichtig, da diese minimalen Oberflächenschäden keinerlei Auswirkung auf die Dichtigkeitsprüfung mit Überdruck von innen haben. Bei den auf Baustellen erzielbaren Rahmenbedingungen sind solche Mikroschäden völlig unvermeidbar. Hat eine Wurzel erst einmal die Dichtung überwunden, so bilden sich unmittelbar neben ihr neue Seitenwurzeln, die durch die gebahnte Pforte nun leichter in die Leitung einwachsen können und den weiteren Schadensverlauf unter Umständen deutlich beschleunigen.
Das bedeutet, dass eine Wurzelfestigkeit des Dichtungssystems nur bei den extrem hohen Anpressdrücken erzielbar ist, wie sie bei kleinen Nennweiten beim Einsatz von duktilen Gussrohren erreichbar sind. Bei allen anderen Systemen muss sichergestellt werden, dass die Wurzel gar nicht erst in den Ringspalt einwachsen kann. Wie noch gezeigt werden wird, ist dies kleinräumig in unmittelbarer Nähe der Rohrverbindung möglich, so dass sich aufwändige Schutzmaßnahmen für den gesamten Rohrgraben erübrigen, wenn nicht Kontakte von Wurzel und Leitung aus anderen Gründen verhindert werden müssen.
Experimente zum Schutz von Rohrverbindungen vor Wurzeleinwuchs
Bereits innerhalb des ersten, vom MUNLV geförderten Projektes wurden Experimente mit geschichteten Substraten durchgeführt, die gezeigt haben, dass Wurzeln in dichtere Substrate nicht einwachsen können. Als dichtes, d.h. wegen der einheitlichen Korngröße nicht verdichtbares Substrat, das wegen der geringen Korngröße ohne einwurzelbare Porenräume ist, wurde Bentonit verwendet. In den neuen Experimenten wurde in einer rechteckigen Pflanzkiste mit den Innenmaßen 960 x 360 x 160 mm zwei Rohrverbindungen eingebaut. Eine der beiden wurde kleinräumig mit Bentonit ummantelt. Das Bentonit wurde dabei trocken eingebaut. Eine Pappel wurde mittig in die Kiste eingepflanzt. Nach einem Jahr wurde die Seitenwand herausgenommen und das Bentonit herausgespült.
Es ist gut zu sehen, dass die Wurzeln nicht durch das Bentonit hindurch wuchsen sondern an diesem entlang. Die Wurzeln wurden perfekt von der Rohrverbindung ferngehalten. Es ist dabei wichtig, dass das Bentonit trocken eingebaut wird, denn bei nassem Einbau ergeben sich unter Umständen Schwundrisse in der Bentonit-Masse, welche die Schutzwirkung deutlich herabsetzen! Die Ummantelungsexperimente mit Bentonit zeigen klar, dass es nicht erforderlich ist, den gesamten Rohrgraben vor Einwurzelungen zu schützen, sondern dass es genügt, den unmittelbaren Muffenbereich zu schützen.
Die Vereinbarkeit von Baum und Leitung im Wurzelraum gilt nicht oder nur eingeschränkt, wenn bei oberflächennah verlegten Leitungen das Risiko weniger in der Einwurzelung als in der Übertragung von Windlasten in Form von Scher- und Hebelkräften auf die Leitungen gerechnet werden muss. Dieses Risiko ist umso größer, je weniger der Baum in die Tiefe wurzeln kann. Dies ist vor allem der Fall, wenn Material mit geringer unterer Korngröße in hohen Anteilen vorhanden ist und mit Rüttelplatten oder Rüttelwalzen über das für die Erreichung der vorgeschriebenen Tragfähigkeit notwendige Maß hinaus verdichtet wird. So wird ein nicht durchwurzelbarer Horizont geschaffen. Am extremsten ist dies, wenn dieser Horizont so schlecht wasserdurchlässig ist, dass das Wasser bereits in der offenen Grube in Pfützen über der abgerüttelten Grabensohle stehen bleibt.
Wir wissen um diese Probleme aus der natürlich vorkommenden Ortsteinbildung. Man braucht das nicht künstlich bei Baumaßnahmen nachzubilden. Statische Walzen und gröberes Material könen Vermeidung dieses Effektes Wunder wirken! In Tiefen von über 1,5 m und damit bei den meisten Entwässerungssystemen sollte der Aspekt der Übertragung von Windlasten jedoch keine Rolle mehr spielen.
Untersuchungen zum Risiko von Wurzelschäden an Leitungen
Zum Risiko von Durchwurzelungsschäden gibt es verschiedene Angaben, die aber alle einer genauen Prüfung nicht standhalten. So gibt es Listen zur potentiellen Gefährlichkeit von Gehölzen. Diese können sich nur auf die Zahl der festgestellten Schadensfälle pro Baumart beziehen. Es ist z.B. nicht verwunderlich, dass Ahorn und Platane im städtischen Bereich besonders häufig vertreten sind. Es wundert sich ja auch niemand, dass z.B. der VW Golf selbst in England häufiger in Unfälle verwickelt ist, als der Rolls Royce. Es fahren davon einfach viel mehr herum. Während wir bei den Kfz-Zulassungen die relevanten Bezugsgrößen kennen, wissen wir nicht, wie viele Individuen von den einzelnen Arten theoretisch die Möglichkeit gehabt hätten, überhaupt in ein Rohr einzuwachsen, und wie viele es davon dann getan haben.
Wieder andere versuchen sich darauf zu beziehen, ob eine Gehölzart eher ein Flachwurzler oder eher ein Tiefwurzler ist. Die meisten Gehölzarten machen das was sie können und was der Standort zulässt. Am auffallendsten ist das bei der Waldkiefer. In den Sandböden der norddeutschen Tiefebene geht sie in die Tiefe um im Sommer nicht ganz zu vertrocknen, auf den flachgründigen Böden über Granit und Gneis im Schwarzwald, in den Vogesen oder in den Zentralalpen wurzelt sie eben flach. Dass die Fichte meist flach wurzelt, liegt in erster Linie daran, dass man auf den besseren weil tiefgründigeren Böden etwas anderes anbaut. In Städten wird das Wurzelsystem in erster Linie durch den meist sehr begrenzten Raum geformt und weniger durch das, was für das infrage stehende Gehölz unter optimalen Bedingungen typisch wäre. Mit einem arttypischen Durchwurzelungsverhalten kann man also in dieser Hinsicht wenig anfangen.
Die Schadenshäufigkeit wird gerne aus unterschiedlichen Gründen dramatisiert. Es gibt Städte, die mit diesem Argument in schöner Regelmäßigkeit arbeiten, wenn eigene Bäume aus irgendwelchen Gründen stören und man ihre Beseitigung aufgrund des mühsam aufgebauten öffentlichen Umweltbewusstseins nicht mehr ohne weiteres durchsetzen kann. Es gibt auch Firmen, die von Kanalinspektionen leben und denen von daher ebenfalls durchaus an einer gewissen Intensität des Problembewusstseins gelegen ist. Bei nüchterner Betrachtung muss man konstatieren, dass in den allermeisten Fällen nichts passiert.
Normalerweise kann man nur im Falle von Schäden im Rahmen der Schadensbehebung bei lokalen Aufgrabungen untersuchen was passiert ist und versuchen zu verstehen, warum es passiert ist. Auch das geht nur eingeschränkt, weil man den Verlauf der Wurzel zum Rohr in der Regel nur ein sehr kurzes Stück untersuchen kann. Die Gegenprobe, warum in Fällen nichts passiert ist, in denen im Prinzip von der Lage von Baum und Leitung her etwas hätte passieren können, verbietet sich aus technischen und aus Kostengründen normalerweise. Wer kann schon eine intakte und voll funktionsfähige Leitung ausgraben und auseinander nehmen lassen nur weil es eben interessant ist.
Die Gelegenheit genau dies zu tun bot sich 2007 im Gebiet des geplanten Braunkohletagebaus Garzweiler II zwischen Köln und Aachen. Nach der Umsiedelung der Bewohner standen ganze Dörfer oder zumindest große Teile davon leer. Hier war es möglich, ohne Zeitdruck geeignet erscheinende Leitungen auszugraben und sogar die Rohrverbindungen herauszutrennen, ohne die Systeme wieder instand setzen zu müssen. Es spielte auch keine Rolle, ob die Bäume unsere Neugier überlebten oder nicht, sie wurden ohnehin alle zu Kompost oder Hackschnitzel verarbeitet. Wir mussten lediglich die Gräben wieder verfüllen, damit niemand hineinstürzen konnte. Dies war im Grund die erste und vermutlich auf lange Sicht einzige Gelegenheit um die im ersten Projekt aufgestellten Vermutungen einer Ãœberprüfung in der realen Situation zu unterziehen.
Bei diesen Untersuchungen zeigte sich, dass der Bereich des Rohres im Leitungsgraben nicht immer deutlich bevorzugt ist und dass sich unter Umständen die vorhangartigen Wurzelverläufe an der Grabenwand einstellen, auch ohne dass die Wurzeln durch Folien oder Platten von einem direkten Einwuchs in den Graben abgehalten werden. In fast allen untersucht Fällen kamen die Wurzeln mehrfach mit der Leitung im Bereich von Rohrverbindungen in Kontakt ohne dass eine Einwurzelung stattfand.
Andere Risikofaktoren
Da sich ein Zusammenhang zwischen der Gehölzart und dem Einwuchsrisiko nicht zeigen ließ, wurde nach anderen möglichen Faktoren gesucht. Bei der Aufnahme von Schadensfällen stellten wir zu unserer Überraschung fest, dass der Schaden verursachende Baum entgegen unseren Erwartungen oft nicht der am nächsten an der Schadstelle stehende war, sondern ein älterer, weiter weg stehender. In vielen Fällen schien es, als sei der Schaden verursachende Baum der einzige, der zum Zeitpunkt des Leitungsbaues schon vorhanden und so groß gewesen war, dass durch den Leitungsgraben der Wurzelraum angeschnitten wurde. Das lässt sich ohne genaue Altersangaben für Baum und Leitung schwer belegen. Aber wir konnten in Göttingen Leitungen ausgraben, die erst wenige Jahre zuvor bereits saniert worden und teilweise bereits wieder verwurzelt waren.
Hier konnte man sehr gut sehen, dass die Regeneration der Wurzeln nach der Einkürzung durch den Grabenbau sehr rasch erfolgt. Das bedeutet, dass die regenerierenden Wurzeln dem sich setzenden Feinerdeanteil nach dem Dichtefallenprinzip folgen und so besonders schnell in den Bereich des Rohres geraten. Erreichen sie es, bevor sich der Ringspalt der Muffe zugesetzt hat, können sie leicht einwachsen und dann den Schaden verursachen, wie er in den “outside-in”-Versuchen mit Weidenstecklingen sich so leicht erzeugen ließ. Es scheint, dass Leitungsbau in vorhandenem Bestand generell mit einem höheren Risiko von Schäden durch Wurzeln verbunden ist, als wenn z.B. in Neubausiedlungen Bäume erst nach Abschluß der Erdarbeiten gepflanzt werden. Dieser Umstand erklärt möglicherweise, warum die meist nachträglich gepflanzten Koniferen in den Hausgärten trotz ihrer großen Häufigkeit in Siedlungsräumen so selten als Verursacher auftreten.
Erfolgt in bestehender Bebauung nachträglich ein Anschluß an die Kanalisation oder wird dieser später im Rahmen von Kanalerneuerungen ebenfalls erneuert, so erscheint das Risiko besonders hoch. Dies hat offenbar nicht nur mit teilweise erschreckend unsachgemäß ausgeführten Anschlussarbeiten zu tun, sei es durch Firmen oder in “do-it-yourself-Manier”, sondern auch mit den beschriebenen Regenerationsphänomenen. Um diesen Aspekt näher untersuchen zu können, planen wir derzeit Regenerationsversuche mit Gehölzen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Größe. Ein entsprechender Förderantrag wird derzeit vorbereitet.
Folgerungen für die Praxis der Stadtbegrünung
Betrachtet man das Problem etwas weniger aufgeregt so sieht man leicht, dass die Risiken geringer sind, als man das gemeinhin glaubt. Gefährdet sind in erster Linie Leitungen aus einer bestimmten Bauperiode, etwa der Zeit von 1960 bis 1990. Danach wurde durch bessere Dichtungssysteme, aber vor allem durch eine verbesserte Bauausführung und Kontrolle vor der Abnahme das Risiko deutlich reduziert. Eine Rolle mag auch spielen, dass in dieser Zeit die Erweiterung des Kanalnetzes in bestehendem Siedlungsgebiet einen Höhepunkt erreichte und dort die Risiken besonders groß sind.
Betrachtet man die Lebensdauer eines Stadtbaumes und eines Schmutz- oder Regenwasserkanals, so kann man sagen, dass die Lebensdauer des Kanals in der Regel gleich oder größer ist als die eines Stadtbaumes. Einen geeigneten Schutz der Rohrverbindung selbst vorausgesetzt, gibt es keinen Grund, Bäume nicht in den Grabenraum tief liegender Kanäle einwurzeln zu lassen. Man kann ihnen gerade dort den Wurzelraum schaffen, der in Städten fast immer sehr knapp bemessen ist. Da der beschränkte Wurzelraum einer der wichtigsten Gründe für schlechten Wuchs, Kronenschäden und damit hohen Pflegeaufwand, ist dies durchaus eine sinnvolle Maßnahme für besseres Stadtgrün. Dies gilt um so mehr, als der beschränkte Wurzelraum auch eine der wichtigsten Ursachen für Schäden an Belägen darstellt. Während Gärtner die Nichtbefahrbarkeit des Wurzelraumes als den entscheidenden Grund gegen ein solches Konzept ansehen, ist mit geeigneten Substraten längst gezeigt worden, dass sich Ãœberfahrbarkeit und Eignung als Wurzelraum nicht ausschließen.
Von flach liegenden Versorgungsleitungen sollte man Wurzeln allerdings nach Möglichkeit fern halten. Zum einen wird in diesen Bereichen in viel zu kurzen Abständen wieder aufgegraben, zum anderen bildet die Sohle von flach liegenden Gräben der Versorgungsleitungen einen meist schwer durchdringbaren Wurzelhorizont mit der Gefahr, dass Hebelkräfte auf die Leitungen übertragen werden können und so Schäden verursacht werden. Es scheint allerdings wenig hilfreich, dieses Fernhalten mit Absperrtechnologien bewerkstelligen zu wollen. Entweder überwindet der Baum sie oder er schwächelt und stirbt zuletzt ab. In jeder Beziehung erfolgversprechender und in der Regel nicht teurer ist es, dem Baum andere und bessere Alternativen als Wurzelraum anzubieten.
Schäden an Belägen
Angehobene Pflaster oder Asphaltdecken sind ein weiteres, durch Bäume hervorgerufenes Ärgernis. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, brauchen die Gehölze zur Verursachung dieser Schäden die tatkräftige Unterstützung durch ungeeignete Planung oder Bauausführung. Wir können wenigstens zwei unterschiedliche Typen solcher Schäden unterscheiden. Der bekanntere weil leichter verständliche Fall ist an einer Ulme zu sehen, die direkt an einer Hauswand steht. Der Belag ist direkt am Baum am stärksten angehoben, mit zunehmender Entfernung wird die Anhebung geringer.
Das passt gut zu der bekannten Tatsache, das Wurzeln mit zunehmender Entfernung vom Stamm immer dünner werden. Solche Schäden müssen allerdings nicht sein. Die oben angesprochene Ulme ist aus einem keimenden Samen in der 2-3 cm breiten Randfuge zwischen Hauswand und Wegebelag hervorgegangen. Obwohl sie wirklich keinen Platz hat, wächst sie hervorragend und hat das Pflaster um keinen Millimeter angehoben. Der Untergrund besteht an dieser Stelle aus mehreren Metern grobem Bauschutt. Die Wurzel kann völlig ungestört in den Zwischenräumen in die Tiefe wurzeln, An der Oberfläche gibt es keine Schäden. Auch schweres Verdichtungsgerät konnte die Durchwurzelbarkeit nicht zerstören.
In den Städten sieht das meist anders aus. Die vorgeschriebene Tragfähigkeit des Unterbaus wird in der Regel geprüft. Die Tiefbauer meinen, wenn sie mindestens erreicht ist, sei alles gut. Das ist aber leider nicht so. Hier wird oft verdichtet, als müsste die vorgeschriebene Tragfähigkeit bis zum Erdmittelpunkt sichergestellt sein. Eine zu geringe Mindestkorngröße hat zur Folge, dass der Unterbau oben ohne technische Notwendigkeit mit einer nicht durchwurzelbaren Trennschicht abschließt. In der Folge bleibt den Wurzeln nur der flache Bereich des Oberbaus als Wurzelraum und die gezeigten Schäden sind unausweichlich, falls der Baum nicht vorher von selbst stirbt. Durch eine Ausführung des Unterbaus in einer Weise, die sowohl den Belangen des Wegebaus als auch dem Baumwachstum gerecht wird, könnten diese Schäden in den allermeisten Fällen vermieden und zugleich ein wesentlich besseres Gehölzwachstum erreicht werden. Tiefbauer, die nur die Straße sehen und Gärtner die meinen, nur Substrate in denen auch lange weiße Rettiche der Handelsklasse 1 heranwachsen seien ein gutes Baumsubstrat, kommen hier nicht zusammen und deswegen auch zu keiner Lösung!
Es gibt aber noch eine zweite und vielfach verkannte Form von Belagschäden. Eine Kiefernwurzel, die wir unter einem Hauptweg im Botanischen Garten der Ruhr-Universität Bochum ausgegraben haben, wurde eingehend untersucht. Die Verbindung zum Baum ist am Rand des Weges etwa leicht oval und etwa 6,3 mm x 5,3 mm stark. Das entspricht einer Querschnittsfläche von etwa 1,04 cm2. In der Mitte unter dem Weg hat die Wurzel mit einem elliptischen Querschnitt von 64,6 mm x 48,1 mm. Das entspricht einer Querschnittsfläche von rund 25 cm2 und damit mehr als die 20-fache Querschnittsfläche der baumnäheren Stelle. Das ist unlogisch und bedarf einer Erklärung, zumal es kein einmaliges Phänomen ist, sondern regelmäßig auftritt.
Das gemeinsame dieser Fundsituationen ist immer, dass der Pflasterbelag in Sand verlegt ist und dass der Weg kaum oder nur von Fußgängern benutzt wird. Die Wurzeln liegen in ihrer Mehrzahl direkt unter dem Pflaster und durchwurzeln meist nur die obere Sandschicht, ein Eindringen in den Unterbau findet nicht statt. Der Grund für die Bevorzugung des Bereiches direkt unter dem Belag ist schnell gefunden. Der Belag erwärmt sich am Tag stark und kühlt in der Nacht wieder aus. Während am Tag bei Sonneneinstrahlung der Belag an seiner Oberseite 20-30 Grad wärmer sein kann, als das Sandbett darunter, ist es in der Nacht genau umgekehrt. Als folge davon kondensiert Feuchtigkeit an der Unterseite des Pflasterbelages. Die Wasserhaltigkeit des Sandes ist zwar nicht gut, sie reicht aber aus um die Feuchtigkeit in der obersten Zone des Bettungssandes zu halten. Entsprechend konzentriert sich das Wurzelwachstum auf diesen Bereich.
Bettet man stattdessen in gröberem Splitt, so tropft das Wasser ab und sickert in den Unterbau unter dem Spittbett ein. Falls sich Wurzeln an der Grenze zwischen Unterbau und Splitt bilden, sind die resultierenden Unebenheiten wesentlich moderater und werden vermutlich auch durch Bewegungen in der Bettung ausgeglichen. Wir haben das an Schadensfällen untersucht und auch Experimente dazu angesetzt. Obwohl diese Versuche aus Kostengründen relativ klein dimensioniert sind zeigen sie bisher genau das Verhalten, das wir theoretisch erwartet haben.
Im Sandbett befinden sich die obersten Wurzeln direkt unter dem Belag, im Splittbett dagegen unter dem Splitt. Hebungen kann man nach einem Jahr zwar noch nicht erwarten, aber die Versuche werden lagen genug laufen, um das zu zeigen. Das alles erklärt aber noch nicht, warum die oben erwähnte Kiefernwurzel in der Mitte unter dem Belag am dicksten ist. Wir verfolgen im Moment die Hypothese, dass der Belag sich durch die unterschiedliche tägliche Erwärmung auf der Unter- und Oberseite minimal aufwölbt. Das geht nur, wenn die Fugen bereits alt und durch Feinerde und Staub so verfestigt sind, dass sie eine nahezu starre Verbindung der Pflastersteine darstellen und wenn diese Verbindung nicht durch Verkehrsbelastung gestört wird. Die oben auf dem Sand liegenden Wurzeln erhalten so am Tage vor allem in der Mitte des Weges Platz zum Dickenwachstum. In der Nacht fällt der Belag wieder zurück und verletzt die Wurzel auf der Oberseite.
Genau an diesen Stellen kommt es am nächsten Tag zu einem verstärkten Wachstum als Wundreaktion. Am Abend kann der Belag nicht ganz in seine Ausgangslage zurückkehren, verletzt die Wurzel aber an der Oberseite erneut. Man kann die “Hühneraugen” der Wurzeln als Folge dieses ständigen Scheuerns überall auf der Oberseite der Wurzeln wunderbar sehen. Weil am Rand der Pflasterbelag permanent aufliegt, gibt es dort keine Verletzung und damit auch keine Wundreaktion und keine dadurch bedingte nicht mit der Wasserleitungskapazität korrelierende sekundäre Verdickung. Schließlich muss noch eine dritte Ursache für Belagsschäden angesprochen werden. Wenn es Unebenheiten im Belag gibt, unter denen Wurzeln verlaufen, dann heißt es ja immer, die Wurzeln hätten den Belag angehoben. Es kann sich aber nicht nur der Belag selbständig durch thermische Spannungen aufwölben.
Es scheint nicht selten auch so zu sein, dass sich der Untergrund allgemein etwas gesetzt hat. Nur dort wo die Feinerdebestandteile durch feine Wurzeln festgehalten werden, ist die Setzung weniger ausgeprägt. Es kann durchaus sein, dass nicht eine Hebung im Bereich der Wurzel vorliegt, sondern eine Senkung in allen anderen Bereichen. Ein fester Referenzpunkt und sorgfältiges Nachmessen kann hier hilfreich sein. Auch hier sind aber die Effekte besonders extrem, wenn durch ungeeignete Bettungsmaterialien eine Durchwurzelung unmittelbar unter dem Belag begünstigt wird.
Schlußbetrachtung
Die bisherigen Erkenntnisse lassen hoffen, dass weitere Verbesserungen möglich sind, wenn die Ergebnisse der bereits abgeschlossenen Untersuchungen in sinnvoller Weise in die Regelwerke von FLL und DWA eingeflossen sind. Grüne Städte mit dauerhaft funktionierender unterirdischer Infrastruktur und intakten Wegen sind möglich! Man muss es wollen - aber Wollen alleine reicht nicht, man muss es auch können. Das schafft man aber nur im vorurteilsfreien Dialog zwischen Gartenbauern und Bauingenieuren. Es muss nur einer damit anfangen!