WURZELSCHUTZ AN STRASSENBÄUMEN
– BEISPIELE FÜR EINE KONSEQUENTE
UMSETZUNG BEI TIEFBAUMASSNAHMEN
Quelle: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2019. Haymarket Media, Braunschweig, S. 67-82.
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach, Dipl.-Ing. (FH) Jan DreßDer Schutz von Bäumen bei Tiefbaumaßnahmen wird trotz der eindeutigen Hinweise aus bestehenden Standards regelmäßig missachtet. Zugleich kommt dem pfleglichen Umgang mit Stadtbäumen eine immer größere Bedeutung zu, da die Erwartungen an das Stadtgrün stetig zunehmen. Dabei wird offenbar, dass Bäume diese ohne funktionsfähige Wurzeln nicht erfüllen können und dass der Schutz dessen Wurzelbereichs in der Praxis sehr individuell und meist zum Nachteil des Baumes gehandhabt wird. Beschädigungen und Verluste von Wurzeln wirken sich ganz konkret auf den betreffenden Baum aus. Sie können in sehr geringem Umfang vernachlässigbar sein, unter Umständen jedoch die Standsicherheit eines Baumes gefährden. Der Beitrag zeigt am Beispiel der Hansestadt Hamburg, dass man dort die Notwendigkeit der konsequenten Umsetzung von Schutzmaßnahmen seit langem erkannt hat und diese mit großem Erfolg bei Tiefbaumaßnahmen an Straßen umsetzt.
Einleitung
Baumkontrolleure, Baumpfleger, Baumsachverständige und Baumeigentümer stehen in Zusammenhang mit den Wurzelsystemen von Bäumen regelmäßig vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Sie sollen die Standsicherheit eines Baumes bewerten, risikofrei in die höchsten Wipfel klettern, den Umfang von Wurzelverlusten beurteilen und ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommen – ohne Einblicke in den Wurzelraum von Bäumen zu haben. Vergleichbares wäre bei den oberirdischen Teilen von Bäumen undenkbar, wenn man diese nicht in Augenschein nehmen könnte, und doch wird der unterirdische Baumschutz bei Tiefbaumaßnahmen regelmäßig zu Lasten eben dieser Anforderungen auf das Gröbste missachtet. Der Ausführende geht womöglich zunächst von der Vermutung aus, dass im Wurzelraum eines betreffenden Baumes bislang keine Verluste zu verzeichnen waren. Er vertraut darauf, dass sogar die fachgerechte Entnahme von ein oder zwei stärkeren Wurzeln den Baum weder hinsichtlich seiner Standsicherheit noch mit Blick auf seine Vitalität beeinflussen wird. Dies alles jedoch ohne zu wissen, wie viele Wurzeln ein Baum tatsächlich noch besitzt oder wo sich diese befinden.
Daher kommt es in zahlreichen Fällen, insbesondere bei Straßenbäumen ab ihrer Reifephase, zu mitunter folgenschweren Fehleinschätzungen. Die Unschuldsvermutung, dass ein gegebener Baum im städtischen Umfeld noch sämtliche Wurzeln besitzt und sich im Gehwegbereich ein weitläufiges Areal erschlossen hat, ist nach allen Erfahrungen kaum zutreffend. Es muss im Gegenteil, und gerade bei straßenbegleitenden Baumpflanzungen in unseren Städten, sehr viel eher davon ausgegangen werden, dass ein Baum schon mit einem Alter von nur 25 bis 30 Jah- ren im Laufe der Zeit an seinem Standort bereits umfängliche und nicht kompensierte Wurzelverluste erlitten hat.
Dementsprechend kommt dem Schutz der an einem Straßenbaum (noch) vorhandenen Wurzeln eine überragende Bedeutung zu. Der steigende Bedarf an baumfachlichen Begleitungen von Tiefbaumaßnahmen zeigt, dass die beharrlich geführte Diskussion um die Wertschätzung des Wurzelraumes von Bäumen mittlerweile Früchte trägt. Es erscheint auch fachübergreifend akzeptiert, dass der Schutz der Wurzeln einen wichtigen Pfeiler des Baumschutzes darstellt, und es herrscht Konsens darüber, dass dieser ein integrativer Bestandteil eines jeden Baumschutzkonzeptes sein muss [1].
Die hier vorgestellten Beispiele einer konsequenten Umsetzung des Wurzelschutzes sollen dabei helfen, bestehende Unsicherheiten auszuräumen, den Aufwand für diese Leistungen korrekt abzuschätzen und damit den Wurzelschutz zu einer kalkulierbaren Größe zu machen.
Baumbiologische Grundlagen
Eingriffe in das Wurzelsystem eines Baumes sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, insbesondere mit Blick auf
- die Standsicherheit,
- die Vitalität,
- die Energiereserven und
- den Phytohormon-Haushalt.
Die Standsicherheit wird im Wesentlichen durch eine ausreichende Verankerung des Baumes mit seinen Wurzeln im Erdreich gewährleistet. Dies setzt zum einen intakte und funktionsfähige Wurzeln voraus, die in der Lage sind, den Baum gegen ein Umstürzen zu sichern [2], [3]. Zum anderen ist die Verteilung der Wurzeln bzw. der Wurzelmasse von Belang, da beispielsweise stark asymmetrisch aufgebaute Wurzelsysteme den Lastabtrag nicht in jeder Windrichtung gleichermaßen erlauben [4].
Die Vitalität eines Baumes ist Ausdruck seines Gesundheitszustandes und erlaubt beispielsweise Rückschlüsse auf das zu erwartende Regenerationsverhalten, d. h. die Fähigkeit, sich von vorübergehenden Mangelsituationen zu erholen [5]. Dabei spielen die Wurzeln eine maßgebliche Rolle, da Bäume über sie das lebenswichtige Wasser und die darin gelösten Nährstoffe aufnehmen. Jeder Wurzelverlust beeinträchtigt, zumindest temporär, diese Kapazitäten und schwächt damit den Baum [6].
In der klassischen Baumpflege verbieten sich unbegründete Entnahmen von Starkästen nicht nur aufgrund der damit einhergehenden Entstehung von großen Wunden, deren nachfolgende Überwallung fraglich ist [7]. Durch die in den Ästen eingelagerten Stärkevorräte wird der Baum zudem eines Teils seiner Energiereserven beraubt. Gleiches gilt für Wurzeln, die in besonderer Weise als Speicherstätte für Kohlenhydrate fungieren [8] und daher in ihrer Gesamtheit zu Recht als Nahrungskammer der Bäume bezeichnet werden.
Zu jeder Zeit werden auch Phytohormone in Bäumen gebildet, umverteilt und verbraucht. Diese Verbindungen entstehen vor allem in teilungsaktiven Geweben wie Knospen und Wurzelspitzen. Dabei entstehen in den Wurzeln insbesondere Cytokinine, die unter anderem Alterungsprozesse verzögern [9]. Wurzelverluste führen somit stets auch zu einem Ungleichgewicht im Phytohormon-Haushalt, was insgesamt betrachtet die (vorzeitige) Vergreisung eines Baumes beschleunigt, sofern sich nicht wieder ein Gleichgewicht einstellt.
Die Funktionen von Wurzeln und die Gestalt von Wurzelsystemen
Wurzeln dienen einem Baum nicht nur zu seiner festen Verankerung im Boden. Über die Wurzeln gelangt das im Boden verfügbare Wasser mit den darin gelösten Nährstoffen in den Baum. In den Wurzeln entstehen Phytohormone, und photosynthetisch hergestellte Reservestoffe werden in großen Mengen in ihnen gespeichert. Da Wurzeln verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen, treten sie in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf, und auch die Wurzelsysteme von Bäumen sehen bereits nach wenigen Standjahren nicht mehr so aus wie zum Zeitpunkt der Pflanzung.
Die Aufgabenteilung innerhalb eines Wurzelsystems
Die Wurzelspitze/Wurzelhaube(Kalyptra)
Jede Wurzel besitzt an ihrer Spitze ein teilungsaktives Zentrum. Die hier ständig neu gebildeten Zellen bilden in Richtung des Wurzelursprungs den eigentlichen Wurzelkörper und in Richtung der Wurzelspitze eine Haube. Nur im Bereich der Spitze entscheidet sich, welche Richtung eine Wurzel einschlägt, wobei der Wurzelhaube eine besondere Bedeutung zukommt [10]. Die neu gebildeten Zellen strecken sich ebenfalls nur in der Nähe der Spitze, und nur hier wächst eine Wurzel dadurch in die Länge. Das Abtrennen einer Wurzelspitze wird zumeist innerhalb kurzer Zeit durch die Ausbildung von Seitenwurzeln hinter der Schnittstelle kompensiert [11].
Die Wurzelhaare/Mykorrhizen
Hinter der Streckungszone stülpen sich einige der äußersten Zellen der jungen Abschlussgewebe schlauchartig aus und bilden hierdurch die so genannten Wurzelhaare. Ihre Zellwände sind durchlässig für Wasser und die darin gelösten Nährstoffe. Wurzelhaare stehen in sehr engem Kontakt zu den feinsten Bodenteilchen, was zur Verankerung der Pflanze und zur Aufnahme von Nährstoffen an der Oberfläche der Bodenpartikel beiträgt. Zur Entwicklung von Wurzelhaaren bedarf es einer hohen Feuchtigkeit der Bodenluft, weswegen sie bei Wurzeln von Bäumen im Straßenraum nur selten in Erscheinung treten [12]. An mykorrhizierten Wurzelspitzen werden die Wurzelhaare funktionell durch die Hyphen der hilfreichen Pilze ersetzt und sind daher entbehrlich.
Feinst- und Feinwurzeln
Hinter der Spitze wachsen Wurzeln allmählich in die Dicke, und die für den Wassertransport genutzten Gewebe im Inneren verholzen zunehmend. Die Abschlussgewebe verkorken durch Einlagerungen, so dass sich eine erste feine Borke bildet. Sie bietet mechanischen Schutz, dient vor allem jedoch der Eindämmung von Wasserverlusten. Hiermit einhergehend verringert sich auch die Flexibilität der jungen Wurzeln. Sie werden zunehmend starr und übernehmen damit in immer größerem Maße statische Funktionen [13]. Wenngleich jede Baumwurzel die bisher aufgezeigten Stadien durchläuft, so erstarken nicht alle jemals gebildeten Wurzeln, und nur vergleichsweise wenige erreichen auch stärkere Durchmesser.
Schwachwurzeln
Die Verankerung eines Baumes mit jungen Wurzeln wird im Laufe der Zeit durch die Entwicklung von stärkeren Wurzeln gefestigt. Über sie werden vorrangig die auf den Baum wirkenden (Wind-)Lasten in den Boden abgetragen. Dabei arbeiten diese im Verbund mit den jüngsten Verästelungen an den Enden der Wurzelstränge. Bei einem Windstoß geht durch die auf Zugbelastungen optimierten Wurzeln ein Ruck, der dazu führt, dass die feinsten Verästelungen daraufhin „zuschnappen” und den zwischen den Wurzeln liegenden Boden ruckartig umschließen [14]. Der Verlust einer Schwachwurzel muss daher stets im Kontext mit dem damit einhergehenden Verlust des anhängigen Wurzelstranges betrachtet werden.
Grob- und Starkwurzeln
Viele Schwachwurzeln werden in ihrer weiteren Entwicklung zu Grob- und Starkwurzeln. Neben dem Lastabtrag und der statischen Funktionen, d. h. der Verankerung im Boden, dienen sie insbesondere der Speicherung von Reservestoffen, vorrangig von Stärke. Dabei handelt es sich um die Einlagerungsform der photosynthetisch gebildeten Kohlenhydrate; sie stellen die Treibstoffvorräte eines Baumes dar [15]. Sämtliche Wachstumsvorgänge, die mit Ausnahme der Winterruhe fortlaufend stattfinden, verbrauchen Energie (Kohlenhydrate) und zehren daher von den Vorräten. Übersteigt die Nachfrage das vorhandene Angebot längerfristig, führt dies unweigerlich zum Niedergang eines Baumes.
Die Wurzeltrachten von Bäumen am Naturstandort
Die Gestalt der Wurzelsysteme von Bäumen ist wie die Gestalt ihrer Kronen genetisch vorgegeben. Bei den allermeisten Arten ist die zuerst gebildete Polwurzel stark vortriebig und differenziert sich zu einer Pfahlwurzel aus. Bei einigen Baumarten bleibt diese Wurzel bestimmend, und es bildet sich ein Pfahlwurzelsystem aus (z. B. bei der Stiel-Eiche). Wenn die Pfahlwurzel nicht dominiert und neben dieser noch weitere der neu gebildeten Wurzeln gleichberechtigt hinzukommen, formen sich zumeist Herzwurzelsysteme aus (z. B. beim Berg-Ahorn). Konzentriert sich das Tiefenstreben jedoch auf vereinzelte Wurzelstränge, entstehen in aller Regel Senkerwurzelsysteme (z. B. bei der Gewöhnlichen Esche).
Die Formen der Wurzeltrachten werden maßgeblich durch die Eigenschaften des Bodens am Standort beeinflusst, so dass sich das für eine Art charakteristische Wurzelsystem oftmals nur undeutlich herausbildet. Unabhängig davon gilt jedoch, dass eine einmal durchtrennte Pfahlwurzel (z. B. durch Verbiss oder das Unterschneiden in der Baumschule) nicht wieder ersetzt wird. Einmal abgetrennt bedeutet in diesem Fall für immer abhanden.
Der Einfluss des Bodens auf Baumwurzeln am Stadtstandort
Die Gestalt von Wurzelsystemen weicht am Stadtstandort meist überaus deutlich von der genetisch vorgegebenen und am Naturstandort realisierbaren Gestalt ab. Dies liegt an den besonderen Umgebungsbedingungen im Straßenraum, die das Wachstum von Wurzeln und damit die Entstehung von Wurzelsystemen nachhaltig beeinflussen [16]. Wurzeln reagieren auf die sie umgebenden Reize und folgen ihnen, wenn sie ihren Ansprüchen entgegenkommen bzw. wenden sich von ihnen ab, wenn sie ihren Ansprüchen entgegenstehen. Die Bodenluft, das Bodenwasser und die Bodendichte stellen dabei die wichtigsten Einflussgrößen dar.
Die Durchlüftung des Bodens (Bodenluft)
Die Versiegelung des Baumumfeldes bringt es mit sich, dass die Lebensgrundlage eines Baumes, der Boden, von der Atmosphäre abgeschnitten wird. Hierdurch kann der Gasaustausch nicht mehr ungehindert stattfinden und so die Bodenluft knapp werden. Wachsende Wurzeln sind jedoch auf die Zufuhr von Sauerstoff angewiesen („Wurzelatmung”), da ihr Stoffwechsel sonst zum Erliegen kommt und sie absterben. Gleichzeitig produzieren Wurzeln Kohlenstoffdioxid, das sich in einem versiegelten Boden anreichert und das Wachstum ebenfalls zum Erliegen bringen kann, da es nicht mit durchfließendem Regenwasser abgeführt wird. Wurzeln wachsen bevorzugt in gut durchlüfteten Bereichen, die sie im Straßenraum vor allem in oberflächennahen Bodenschichten vorfinden [17].
Der Feuchtigkeitsgehalt des Bodens (Bodenwasser)
Die Versiegelung des Bodens beeinflusst auch dessen Feuchtigkeitsgehalt, da das Versickern von Regenwasser hierdurch verhindert oder zumindest erschwert wird. Je weniger Wasser in einem Boden vorhanden ist, desto weniger Wasser steht dem hier wachsenden Baum zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen und zum Wachstum zur Verfügung. Dass Wurzeln zunächst einmal nach unten wachsen, hilft ihnen dabei, Anschluss an Grundwasser führende Bodenschichten zu bekommen. Dieser Wachstumsreiz wird von Wasser im Boden maßgeblich erhöht, da Wurzeln diesem regelrecht hinterherwachsen [18]. Unterbleibt der Eintrag von Regenwasser und ist der Feuchtigkeitsgehalt eines Bodens durch Versiegelung erniedrigt, entwickeln sich Wurzeln vor allem nahe der Oberfläche, wo sie eine noch ausreichende Bodenfeuchtigkeit vorfinden.
Der Eindringwiderstand des Bodens (Bodendichte)
In bebauten Umgebungen ist das Baumumfeld in aller Regel hoch verdichtet, da der hier vorhandene Boden vor allem Last aufnehmen muss. Solche Verdichtungen entstehen zumeist durch den unbekümmerten Einsatz von Maschinen oder sie werden als straßen- bzw. tiefbautechnische Anforderung umgesetzt. Verdichtungen betreffen durch die Entstehung von sog. Druckzwiebeln auch tief unter der Oberfläche liegende Bodenschichten und führen zu einer für Bäume höchst nachteiligen Veränderung der Bodenstruktur. Insbesondere die luft- und wasserführenden Poren werden zumeist unwiderruflich zerstört, was nicht ohne Einfluss auf Wurzeln bleibt, da sie in derartige Bereiche nicht oder in einem nur sehr geringen Umfang einwachsen können [19]. Auch die Verdichtung eines Bodens führt somit zur Entwicklung von oberflächennah ausgebildeten Wurzeln.
Beschreibung des Wurzelbereichs eines Baumes
Als eine Folge der zuvor beschriebenen Einflüsse konzentrieren sich das Wachstum von Wurzeln und die Entwicklung von Wurzelsystemen am Stadtstandort noch stärker auf oberflächennahe Bodenbereiche als es am Naturstandort bereits der Fall ist, so dass sich der Großteil aller Wurzeln eines Baumes meist in den oberen Bodenhorizonten befinden [20]. Dennoch können einzelne Wurzelstränge auch Wuchstiefen von 1,5 m oder mehr erreichen, wenn es die Bodenverhältnisse zulassen.
Die häufig zitierte Daumenregel der Kronentraufe zur Bemessung der horizontalen Wurzelausbreitung hat bereits am Naturstandort nur selten und am Stadtstandort nie einen Bezug zur realen Situation. Aufgrund der hier vor allem oberflächennah ausgebildeten Wurzeln kann die Entfernung sämtlicher außerhalb der Kronentraufe liegenden Wurzeln mitunter den Verlust des halben Wurzelsystems eines Baumes bedeuten. Daher ist der von Störungen freizuhaltende Wurzelbereich eines Baumes als die unter dem Schirm der Krone liegende Fläche zuzüglich 1,5 m zu allen Seiten festgelegt. Bei schmalkronigen Arten oder Sorten sind es sogar 5 m zu allen Seiten [21], [22]. Der Wurzelbereich ist Teil des Wurzelraumes, zu dem der Boden als untrennbare Komponente gehört. Wie zuvor dargelegt, bedeutet eine Einflussnahme auf den Boden stets auch die Einflussnahme auf die hier vorkommenden Wurzeln und damit auf einen hier wachsenden Baum.
Die Auswirkungen von Eingriffen im Wurzelraum
Neben der Beeinflussung des Wurzelraumes durch Veränderungen des Bodens werden Wurzeln im Zuge von Tiefbaumaßnahmen regelmäßig auch direkt geschädigt. Hierzu zählen kontrollierte Eingriffe, wie sie z. B. zur Herstellung von Wurzelvorhängen im Vorfeld von Bautätigkeiten notwendig sind. Sorge bereiten vor allem unkontrollierte Eingriffe, da diese den betroffenen Baum unmittelbar oder mittelbar negativ beeinflussen [23]. Wenngleich solche Beschädigungen im Laufe der Zeit und unter entsprechend guten Bedingungen kompensiert werden können, bleiben sie niemals ohne Auswirkungen auf einen Baum.
Wundreaktionen von Wurzeln
Da das CODIT-Prinzip für alle verholzenden Baumteile gilt, gleichen die Wundreaktionen von Wurzeln im Wesentlichen den Wundreaktionen, die an Zweigen, Ästen und Stämmen zu beobachten sind. Im Unterschied zu den oberirdischen Baumteilen besitzen Wurzeln jedoch zumeist einen höheren Anteil an parenchymatischen, d. h. lebenden und damit aktiv reaktionsfähigen Zellen. Hierdurch können Wundreaktionen effizienter ablaufen, wenn die Umgebungsbedingungen es erlauben. Daher kommt nicht nur dem vorsorgenden, sondern auch dem nachsorgenden Wurzelschutz große Bedeutung zu.
Verletzung von Wurzeln
Trotz aller Bestrebungen, Baumwurzeln zu schützen, werden diese regelmäßig beschädigt oder müssen aufgrund fehlender Alternativen entfernt werden. Hinsichtlich der Ursachen von Wurzelverletzungen ist daher zwischen zielgerichteten, fachlich korrekt ausgeführten Eingriffen und unsachgemäßen Eingriffen zu unterscheiden, die beispielsweise in Folge eines unbedarften Einsatzes von Maschinen entstehen.
Zielgerichtete Eingriffe als Teil baumpflegerischer Maßnahmen haben stets zum Ziel, das Ausmaß unvermeidbarer Schäden zu minimieren. Da die Möglichkeiten für Korrekturen der Folgen unsachgemäßer Eingriffe bzw. die Eindämmung der dadurch zukünftig entstehenden Schäden begrenzt sind, muss der Fokus einer jeden Tiefbaumaßnahme in Baumnähe auf dem Erhalt von vorhandenen Wurzeln liegen.
Ersticken von Wurzeln/Beeinflussung des Gashaushaltes
Der Schutz von Wurzeln kann als Maßnahme einzeln behandelt, jedoch nicht losgelöst vom Schutz des Wurzelraumes gesehen werden. So schädigt beispielsweise das Befahren des Wurzelbereiches mit Maschinen die hier vorkommenden Wurzeln nicht viel weniger als unmittelbare mechanische Beschädigungen. Allerdings treten die zunächst nicht direkt erkennbaren Effekte dabei zeitverzögert auf, mitunter erst nach mehreren Vegetationsperioden [24]. Bei der Herstellung von Leitungsgräben unter Wurzel- erhalt ist daher auch ein Augenmerk auf das Verfüllen und Verdichten des Grabens sowie die anschließende Herstellung der Wegedecke mit Blick auf die Beeinflussung von Wurzeln zu legen.
Bäume sind mit ihren Wurzeln an die vorherrschenden Bedingungen angepasst, so dass auch an gestörten und vergleichsweise lebensfeindlichen Standorten darauf geachtet werden muss, dass sich die Umgebungsbedingen nicht zu einem weiteren Nachteil für den Baum verändern. Veränderungen in Form von Abgrabungen (Bodenabtrag), Überfüllungen (Bodenauftrag), Überverdichtungen und Versiegelungen sind in jedem Fall zu vermeiden.
Grundwasserbeeinflussung/ Baumaßnahmen mit Wasserhaltung
Die Anpassung von Bäumen an ihren Standort betrifft auch ihren Wasserhaushalt. Sind Bäume von Baumaßnahmen mit Wasserhaltung betroffen, stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Hierbei ist nicht nur auf den Erhalt der Wurzeln zu achten, sondern auch darauf, dass diese mit einer veränderten Wasserzufuhr bzw. dem Entzug von Wasser konfrontiert werden. Sind Wurzelsysteme einmal an einem Standort mit den dort vorherrschenden Bedingungen etabliert, können abrupte und/oder länger anhaltende Veränderungen den Niedergang eines Baumes nach sich ziehen – obwohl diesem keine einzige Wurzel entnommen wurde.
Insbesondere die Wurzelsysteme älterer Bäume besitzen keine ausreichende Plastizität, um sich grundlegend neuen Bedingungen anzupassen. Einmal trockengefallene Wurzeln sterben unweigerlich ab und können nicht mehr reaktiviert werden. Jüngere Bäume haben ein größeres Potenzial, sich auf solche Veränderungen einzustellen. Unabhängig vom Alter führen Grundwasseranstiege in aller Regel jedoch vergleichsweise rasch zu einem Absterben betroffener Bäume, da das Wasser die Bodenluft verdrängt und die Wurzeln wegen des Luftmangels daraufhin bald ersticken und degenerieren.
Erfahrungen in der Hansestadt Hamburg
Anmeldung und Beauftragung der Baubegleitung
Der Bedarf an einer baumfachlichen Baubegleitung ergibt sich stets aus dem zu erwartenden Einfluss, den eine Baumaßnahme auf einen Baum ausüben kann. Dieser kann meist schon anhand von Katasterauszügen durch den zuständigen Baumkontrolleur abgeschätzt werden.
Die Effekte reichen von bodenbedingten Einflüssen auf den Baum, wie einer (temporären) Veränderung des Grundwasserstandes oder geplanten Umgestaltungen des Baumumfeldes, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung durch unumgängliche Baumaßnahmen, wie der Herstellung von Leitungsgräben im Schutzbereich von Bäumen. In der Stadt Hamburg ist die baumfachliche Baubegleitung, z. B. bei Tiefbaumaßnahmen, in den allermeisten Fällen durch die Hamburger Baumschutzverordnung zwingend vorgeschrieben oder wird vom zuständigen Amt eingefordert.
Unabhängig vom jeweiligen Anlass muss in der Hansestadt das ausführende Bauunternehmen für eine baumfachliche Baubegleitung sorgen. In einem ersten Schritt erfolgt hierzu eine Anfrage des Tiefbauers oder Netzbetreibers bei einem Baumpflegefachbetrieb zur fachlichen Begleitung der Maßnahme. Bei Übernahme des Auftrags erfolgt dann durch den Baumfachbetrieb die Anmeldung der Begleitung beim zuständigen Bezirksamt. Dabei ist es üblich, dass diese Schritte fernschriftlich, d. h. per E-Mail, erfolgen.
Zeitgleich mit der Anmeldung der Begleitung erfolgt die Beantragung eines Kartenauszuges des betroffenen Straßenzuges, so dass auch hinsichtlich der korrekten Baumnummern Übereinkunft herrscht. Zusätzlich stellt das Amt häufig der Baubegleitung eine Liste mit Stammdaten der betreffenden Bäume zur Verfügung. Dieser Ablauf, mit dem auch der vorbereitende Aufwand für alle beteiligten Stellen auf ein Minimum reduziert wird, hat sich in der Hansestadt Hamburg zur Zufriedenheit aller Beteiligten etablieren können. Das dort bewährte Schema umfasst im Einzelnen:
- Schritt 1: Anfrage des Tiefbauunternehmens zur baumfachlichen Begleitung
- Schritt 2: Anmeldung der Maßnahme durch die be- gleitende Firma beim jeweiligen Bezirksamt
- Schritt 3: Zurverfügungstellung amtlicher Auskünfte zum betreffenden Baumbestand
Sind alle notwendigen Unterlagen vorhanden, können die Arbeitspapiere für die baubegleitende Fachkraft zu- sammengestellt werden. Dies sind in der Regel:
- Das „Wurzelprotokoll”
- Die Informationen des Bezirksamtes (Kartenauszug/Baumliste)
- Das Auftragsschreiben des Tiefbauunternehmens
- Ein Leistungsnachweis zur Dokumentation der abgeleisteten Stunden
Anforderungen des Auftraggebers an die Baumpflegefachkraft
Der Auftraggeber darf von einer baumfachlichen Baubegleitung Grundkenntnisse des Tiefbaus erwarten, so dass die allgemeinen Arbeitsabläufe und die dabei eingesetzten Werkzeuge und Maschinen bekannt sind. Die Kenntnis der Definition der gängigsten Begriffe wie beispielsweise „Löffel”, „Auskoffern”, „Rückenstütze”, „Grabensohle”, „Muffe”, „Zwickel”, „Schwarzdecke” usw. erleichtert den Umgang miteinander und hilft, Missverständnissen vorzubeugen. Dies bedeutet zugleich, dass sich die ausführenden Kräfte bei Unsicherheiten unbedingt durch Rückfragen vergewissern sollten. Baumfachkraft und Tiefbauer teilen ihre Sachkenntnis gerne, können den Stand des Wissens der anderen Beteiligten jedoch nicht erahnen.
Zudem muss sich der Auftraggeber darauf verlassen können, dass sich die eingesetzte Baumfachkraft vor und während der Arbeiten vollumfänglich um die Belange des Wurzelschutzes kümmert. Dies beinhaltet auch, dass die Baubegleitung selbstständig darüber entscheiden kann, wann und wo unter Berücksichtigung des Baumschutzes Maschinen für Grabungsarbeiten eingesetzt werden können, wann Grabungen einzustellen bzw. wiederaufzunehmen sind und vor allem, dass alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Baumwurzeln umgesetzt werden.
Das Bindeglied zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer ist das „Wurzelprotokoll”, in dem die Einwirkungen auf den Baum / Beschädigungen sowie erforderliche nachsorgende Maßnahmen dokumentiert werden. Im Zweifel dient das Protokoll mit der dazugehörigen Dokumentation auch als Beweismittel.
Anforderungen der Baumfachkraft an den Auftraggeber
Der Auftragnehmer darf vom Auftraggeber erwarten, dass dieser ihm im Vorfeld alle grundlegenden Informationen zur Baumaßnahme (z. B. Leitungsverlegung im Gehwegbereich), dem Baumbestand (z. B. 35 Altbäume) und den Baumstandorten (z. B. Baumroste vorhanden) usw. mitteilt. Ein Grundverständnis der ausführenden Tief- und Straßenbauer für die Bedeutung und die Schutzbedürftigkeit von Baumwurzeln trägt dazu bei, dass sich die baumfachliche Baubegleitung nahtlos in den Bauablauf integrieren kann.
Zudem gilt auch hier, dass Rückfragen bei Unklarheiten den besten Schutz vor unsachgemäßen Eingriffen darstellen. Beim Tiefbau werden dickere Wurzeln beispielsweise auch mal als „Äste” angesprochen, was zunächst verwirren kann.
Die Baumfachkraft muss zudem alle notwendigen Schritte zum Wurzelschutz einleiten und im Einzelfall von ihrer Befugnis zur Veranlassung eines Baustopps Gebrauch machen können. In diesem Fall ist die Baumeigentümerin (Stadt Hamburg, z. B. vertreten durch den städtischen Baumkontrolleur) in die Problematik mit einzubinden. Ihm obliegen die weiteren Entscheidungen hinsichtlich der Vorgehensweise. Auch wenn die Notwendigkeit verschiedener Maßnahmen bei Bedarf direkt vor Ort erläutert werden kann, bildet das Wurzelprotokoll mit einer zusätzlichen fotografischen Dokumentation auch an dieser Stelle die wichtigste Nahtstelle zwischen der beauftragten Baubegleitung, dem auftraggebenden Tiefbauunternehmen und der Baumeigentümerin.
Das „Wurzelprotokoll”
Um Schädigungen von Bäumen durch unsachgemäße Eingriffe in den Wurzelraum zukünftig zu unterbinden, hat die Baumpflege Bollmann GmbH aus Ellerau bereits 2011 das so genannte „Wurzelprotokoll für baumfachliche Baubegleitungen” entwickelt. Dieses hat seit seiner Einführung in der Hansestadt Hamburg nicht nur die Zustimmung aller Beteiligten gefunden, sondern wird dort mit großem Erfolg umgesetzt.
Das Wurzelprotokoll bildet den Ausgangspunkt einer jeden baumfachlichen Baubegleitung. Die Vorbereitung des Protokolls im Büro beschränkt sich auf die Eingabe einiger Stammdaten, wie die Angaben zur beauftragenden Firma mit Ansprechpartner, den Zeitpunkt der Beauftragung, den Grund der Aufgrabung, Angaben zu den Baumstandorten sowie die Nennung des zuständigen städtischen Baumkontrolleurs.
Alle weiteren Daten werden vor Ort vom Baumpfleger ausgefüllt. Hierunter fallen Angaben zur Baumart und den Stammdurchmessern sowie detaillierte Aussagen zu Schäden, die sich beispielsweise aus unvermeidlichen, jedoch kontrolliert beigebrachten Wurzelverlusten ergeben können. Auch Informationen zur Entfernung der Eingriffe zum Stamm und dem Umfang von ggf. notwendigen Kronenausgleichsschnitten sind Teil der Dokumentation. Das Protokoll enthält somit alle wesentlichen Informationen und umfassenden Details zu Ablauf und Hergang des Bauvorhabens in Bezug auf den Baumschutz.
Die genaue Kenntnis des Umfangs beschädigter Wurzeln bzw. fachlich korrekt nachbehandelter Wurzelschäden und möglicher nachsorgender Pflegemaßnahmen eines jeden Baumes vermittelt allen Beteiligten (in komplexen Fällen im Zusammenhang mit der fotografischen Dokumentation) ein möglichst genaues Bild der tatsächlichen Ereignisse. Damit erübrigt sich zukünftig auch die Notwendigkeit, über mögliche Wurzelverluste zu spekulieren.
Idealerweise erfolgt die Dateneingabe und -verarbeitung digital, so dass sich der Aufwand zur Nachbereitung des Auftrags auf ein Minimum reduziert. Die Einbindung der Dokumentation in ein bestehendes Baumkataster stellt dabei die effizienteste Art dar, einzelbaumbezogene Informationen jederzeit zur Hand zu haben. Auch dieser Schritt wird in der Hansestadt Hamburg seit Jahren konsequent umgesetzt.
Der Wurzelschutz in der Praxis
Schutzmaßnahmen im Baumumfeld
Zu den mittelbaren Maßnahmen des Wurzelschutzes gehört beispielsweise der Einsatz von Platten, Bohlen, Matten und/oder Kies zum Abtrag von Lasten, der durch schwere Maschinen oder Fahrzeuge in den Wurzelraum (bei offener Baumscheibe) eingeleitet werden könnte. Auch die korrekte Platzierung der Baustelleneinrichtung gehört zu diesen Maßnahmen und verhindert, dass Lasten oder Unrat (wie beispielsweise WC-Abwässer oder Chemikalien) in den Wurzelbereich eingetragen werden.
Bevor die Arbeiten im Wurzelraum beginnen, erfolgt auch die Baustellenabsicherung. Diese wird in aller Regel durch die ausführende Tiefbaufirma umgesetzt. Hier hat die baubegleitende Baumfachkraft Zeit, sich mit dem betroffenen Baum und dessen Standort vertraut zu machen. Ein geschultes Auge erkennt bereits vor dem ersten Spatenstich, wo es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Kontakt mit dem Wurzelwerk kommen wird.
Schutzmaßnahmen an Stamm und Krone
Obwohl Schutzmaßnahmen am Stamm und an der Krone auf den ersten Blick in keinem direkten Zusammenhang mit den Wurzeln eines Baumes stehen, umfassen sie oft den Wurzelraum oder finden innerhalb des Wurzelschutzbereiches Anwendung. Zudem ist der Einsatz von Maschinen zur Abnahme des Wegebelages vor Tiefbaumaßnahmen nicht selten, und entsprechend besteht eine konkrete Gefahr für den Baum durch schweres Gerät.
Ein korrekt angebrachter Stammschutz sorgt dafür, dass der Baum beim Kontakt mit einer Maschine keinen Schaden nimmt. Ein mit einer Windung um den Baum gewickeltes Dränrohr erfüllt diesen Schutz ebenso wenig wie schwere Gerüstbohlen, die auf den Wurzelanläufen aufgesetzt sind. Letztere verletzen bereits durch ihr Eigengewicht regelmäßig die Wurzelanläufe. Ein fehlender oder ungeeigneter Stammschutz ist der Baumeigentümerin umgehend zu melden.
Im Ausnahmefall kann auch eine Einkürzung von Kronenteilen notwendig sein, um einen Baum vor zu erwartenden Beschädigungen durch Baumaschinen zu schützen. Steht kein ausreichender Arbeitsraum zur Verfügung, sind die Arbeiten vorübergehend einzustellen, bis ein Fachbetrieb das benötigte Lichtraumprofil erstellt hat. Wenngleich das Ziel einer jeden baumfachlichen Baubegleitung der Erhalt des vollständigen Baumes ist, so muss von Fall zu Fall immer auch nach Kompromissen gesucht werden, um notwendige Eingriffe zu ermöglichen und den Schaden für den Baum dabei so gering wie möglich zu halten.
Öffnung des Wurzelraumes
Nachdem die örtliche Lage analysiert wurde, kann mit den Tiefbauarbeiten begonnen werden. Für die eingesetzte Baubegleitung ist dies eine der kritischen Phasen, in denen ihre volle fachliche Kompetenz gefragt ist. Problematisch ist, dass während der anfänglichen Grabungsarbeiten ein möglicher Wurzelverlauf nur erahnt werden kann. Die Gefahr einer unbeabsichtigten Wurzelverletzung durch die falsche Grabungstechnik ist in dieser Phase besonders hoch. Ein Baggereinsatz kann hier verheerende Auswirkungen haben.
Bei der Öffnung des Wurzelraumes hat der Erhalt von Wurzeln stets oberste Priorität. Dicht unter dem Wegebelag, zumeist in engem Kontakt zu diesem und mitunter auch mit diesem verwachsen, finden sich regelmäßig einzelne Feinst- und Feinwurzeln oder deren Geflechte. Ihr Erhalt ist in aller Regel nicht möglich und in der Mehrzahl aller Fälle auch nicht unabdingbar. Um den Zugang zum Leitungsgraben zu ermöglichen, kann die Entfernung dieser Wurzeln in der Bettung des Wegebelages daher durchaus in Erwägung gezogen werden, ohne dass dem Baum hierdurch zwangsläufig ein bleibender Schaden entsteht.
Dessen ungeachtet findet die Öffnung des Wurzelraumes, die zugleich eine Sondierung der Wurzeln darstellt, stets in Handschachtung oder in Saugtechnik statt.
In begründeten Ausnahmefällen kann eine Sondierung der Wurzeln mit Geräten erfolgen, wenn ein zahnloser Löffel genutzt wird und der Aushub äußerst behutsam unter Sichtkontakt (eine Person im Graben, eine Person in der Maschine) erfolgt. Die Entscheidung, ob eine solche Vorgehensweise in Frage kommt, obliegt allein der baumfachlichen Baubegleitung.
Umgang mit freigelegten Wurzeln
Bei der schichtweisen Abtragung des Bodens kann es zur Freilegung von Wurzeln kommen. In dem Fall ist abzuwägen, wie mit diesen umgegangen werden soll. Die weitere Handhabung der freigelegten Wurzeln hängt von unterschiedlichen Parametern ab: von der Stärke der Wurzel, deren Beschädigungsgrad, der Witterung und vom Grund für die Aufgrabung.
Grundsätzlich stehen dem Baumpfleger drei Möglichkeiten zur Auswahl:
- Das Belassen der Wurzel und deren Schutz vor Aus- trocknung bzw. Frost,
- das Beschneiden der Wurzel aufgrund verletzter Wurzelpartien bzw. räumlicher Konflikte oder
- die Kappung der gesamten Wurzel (bis zur Baugrubenwand, in Einzelfällen auch darüber hinaus)
Müssen die Wurzeln beschnitten werden, ist je nach Stärke der Wurzel vorab die Baumeigentümerin oder aber ihr Vertreter (z. B. der Baumkontrolleur im Falle von Stadtbäumen) zu informieren. Die Baumeigentümerin entscheidet letztlich über die durchzuführende Maßnahme. Sind die freigelegten Wurzeln erst einmal versorgt, müssen im Anschluss daran die Wurzelstärken und der Umfang von Verletzungen protokolliert werden.
Durchtrennen von Wurzeln
Sind Wurzelverluste trotz aller Schutzmaßnahmen nicht zu vermeiden und besteht keine Möglichkeit zum Erhalt verletzter Wurzeln, sind die betroffenen Wurzeln schneidend und glatt zu durchtrennen – und zwar so, dass dabei stets die kleinstmögliche Schnittfläche entsteht. Erst der glatte Schnitt, der bei stärkeren Wurzeln mit einer scharfen(!) Säge zu erfolgen hat, gibt einer Wurzel im Zusammenspiel mit einer kleinen Schnittfläche die Möglichkeit zur Überwallung der Wunde. Nach dem Schnitt muss die Schnittstelle bis mindestens einen Fingerbreit hinter dem Schnitt mit einem Wundverschlussmittel versiegelt werden.
Dies dient dazu, das unter der Rinde liegende Kambium, aus dem das Wundgewebe entsteht, vor dem Eintrocknen zu schützen. Fällt das Kambium trocken, so stirbt dieses zarte Gewebe unwiderruflich ab, weswegen die Versiegelung der Schnittstelle unmittelbar zu erfolgen hat. Der Anstrich verhindert jedoch niemals den Besatz der Wunde mit den Sporen von Schadorganismen. Hieraus entstehenden Schäden kann allein durch eine korrekte Wundversorgung vorgebeugt werden, die für eine bestmögliche Wundreaktion sorgt. Nach der Wundversorgung ist der Rest der freiliegenden Wurzel mit geeigneten Mitteln vor Austrocknung zu schützen.
Nachversorgung freigelegter Wurzeln
Freigelegte Wurzeln müssen unabhängig von einer vorhandenen Wunde stets feucht gehalten werden, bis die hergestellte Grube wieder verfüllt wird. Vor dem Eingriff hat der umgebende Boden die Wurzeln sicher vor Austrocknung geschützt, in offenen Baugruben muss dieser Schutz nun anderweitig sichergestellt werden. Dies geschieht beispielsweise durch die feuchte Bandagierung freigelegter Wurzeln oder das Umwickeln von Wurzelsträngen mit geeignetem Material (z. B. Jute) sowie das Abdecken der Wurzeln mit Vlies.
In jedem Falle muss die Maßnahme zeitnah nach dem Freilegen erfolgen. Ziel ist, dass die so versorgten Wurzeln nicht austrocknen und im Falle von länger offenen Gruben dauerhaft feucht gehalten werden. Bei Bedarf müssen die Wurzeln daher regelmäßig neu befeuchtet werden. Bei trocken-heißer Witterung kann das zusätzliche Einschlagen der umwickelten und befeuchteten Wurzeln in eine Kunststofffolie dabei helfen, die Verdunstungsrate herabzusetzen. Hierbei sollte einer weißen Folie der Vorzug gegeben werden, um eine Erhitzung der Wurzeln zu verhindern. Im Winter freigelegte Wurzeln sind in gleicher Weise durch eine geeignete Ummantelung vor Erfrierungen zu schützen.
Nachbereitung der baumfachlichen Baubegleitung
Nach Beendigung der Baubegleitung werden die ausgefüllten Wurzelprotokolle an die Tiefbaufirma und die zuständige Behörde geschickt, sofern Stadtbäume betroffen sind. Zudem werden die Protokolle zum Nachweis der Arbeiten im Archiv der beauftragten Firma abgelegt. Sollten Lichtbilder besonders beschädigter Wurzeln erstellt worden sein, werden diese den Dokumenten als Anlage beigefügt.
Kronenausgleichschnitt
Ist ein Verlust größerer Teile eines Wurzelsystems zu verzeichnen, kann neben der Behandlung der Schnittstellen und des verbleibenden Wurzelsystems ein so genannter Kronenausgleichsschnitt nötig werden. Die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme ist im Einzelfall von der baumfachlichen Baubegleitung bzw. der Baumeigentümerin oder dessen Vertreter zu beurteilen.
Ein Kronenausgleichsschnitt soll dabei helfen, größere Versorgungsengpässe zwischen dem Wurzelsystem und der Krone zu verhindern. Zudem wird durch den Schnitt auch das Wurzelwachstum angeregt, da es zu einer Beeinflussung des Phytohormon-Haushaltes zu Gunsten der Wurzelneubildung kommt. Der Kronenausgleichsschnitt ist als nachsorgende Folgemaßnahme einer baumfachlichen Baustellenbegleitung zu verstehen. Er wird stets separat beauftragt und erfolgt in aller Regel nach Beendigung der Tiefbaumaßnahmen.
Die Intensität des Eingriffs in die Krone wird bereits während der Wurzelfreilegung festgelegt und ist in erster Linie vom Ausmaß des Wurzelverlustes abhängig. Allerdings müssen weitere Faktoren wie die Schnittverträglichkeit, örtliche Gegebenheiten, der Zeitpunkt der Schnittmaßnahme und der allgemeine Baumzustand in die Vorüberlegungen einfließen.
Hinzukommend können verschiedene Maßnahmen zur Baumumfeldverbesserung dazu beitragen, die sich aus der Baumaßnahme noch nachträglich ergebenden Beeinträchtigungen abzumildern. Diese betreffen vor allem den Boden am Standort und reichen von dessen Auflockerung über das Einarbeiten oder die Injektion von Bodenhilfsstoffen bis hin zu einem Austausch des Bodens in dessen potenziellen Wurzelraum.
Maßnahmen bei Wurzelverletzungen
- Feststellung des Schadensumfangs
Kommt es zu einer Wurzelverletzung, so muss zunächst der Umfang bzw. die Schwere des Schadens festgestellt werden. Von oberflächlichen Rindenabschürfungen durch den Spateneinsatz bis zum Abriss von Starkwurzeln durch einen Bagger ist alles möglich. Rindenschäden sind oft nicht zu vermeiden, da die Rinde der Wurzel extrem empfindlich ist und selbst bei behutsamer Handschachtung beschädigt werden kann. In diesem Fall ist das Austrocknen der Wunde bzw. des gesamten geschädigten Bereiches zu verhindern. Dies wird durch das Auftragen von Wund- verschlussmitteln auf die schadhaften Stellen und ein Umwickeln der freigelegten Wurzel erreicht.
Kommt es zu flächigen Rindenverletzungen schwacher Wurzeln (d. h. mit Durchmessern bis 2 cm), kann die Kappung der Wurzel eine Alternative zum Umwickeln sein. Die Wurzeln treiben nach dem sauberen Abschnitt zumeist neu aus und können den Verlust mitunter schnell kompensieren. Abrisse von Starkwurzeln, z. B. durch Maschinen, sind kritischer zu betrachten. Hier kann es zu einem Verlust der Standsicherheit des Baumes kommen. In derartigen Fällen ist die Baumeigentümerin bzw. der Auftraggeber umgehend zu informieren.
Die eingesetzte Baubegleitung ist in dieser Situation berechtigt, einen Baustopp einzuleiten, um das weitere Vorgehen mit der Baumeigentümerin und den für den Schaden Verantwortlichen zu besprechen. Der Schaden muss zudem stets fotografisch dokumentiert werden. Hierzu werden mindestens drei Aufnahmen, eine des Baumes in seinem Umfeld, eine des Schadens in der Übersicht und eine des Schadens im Detail erstellt.
- Festlegung eingehender Untersuchungen
Im Einzelfall kann es aufgrund umfangreicher Schäden oder des Verdachts auf bereits fehlende bzw. abgestorbene/zersetzte Wurzeln notwendig werden, den betreffenden Baum auf seine Erhaltensfähigkeit und Standsicherheit zu überprüfen. Auch in derartigen Situationen darf die baumfachliche Baubegleitung einen Baustopp einleiten, um das weitere Vorgehen mit der Baumeigentümerin und den für den Schaden Verantwortlichen zu besprechen. In jedem Fall ist die Frage nach einer ausreichenden Standsicherheit umgehend zu klären.
Hinsichtlich der fotografischen Dokumentation gilt auch hier, dass für die Beweissicherung drei grund- legende Perspektiven von Bedeutung sind:
- Aufnahme 1: Der Baum und dessen Umgebung
- Aufnahme 2: Totale der freigelegten Wurzel (nach Möglichkeit mit einem Maßstab)
- Aufnahme 3: Detailaufnahme des Schadens (stets mit Maßstab)
Fazit
Eine baumfachliche Begleitung von Tiefbauarbeiten in Baumnähe gibt allen Beteiligten die nötige Sicherheit, den geforderten Schutz des Baumbestandes einzuhalten. Zudem wird das Bestreben der ausführenden Stellen unterstützt, die Baumaßnahmen unter Erfüllung der Auflagen rasch und effizient durchzuführen. Schnelle Entscheidungsprozesse vor Ort und eine ebenso schnelle Umsetzung notwendiger Schutzmaßnahmen kennzeichnen eine qualifizierte Baubegleitung und behindern Baumaßnahmen nicht, sondern lassen diese zu einem umfassenden Erfolg werden.
Durch die eingesetzte Baubegleitung wird sichergestellt, dass ein Baum, der durch eine Baumaßnahme im Wurzelbereich verletzt wurde, keine bleibenden Schäden davonträgt. Das Wurzelprotokoll der Baumfachkraft stellt zudem eine belastbare Dokumentation aller durchgeführten Maßnahmen dar. Diese Zuverlässigkeit sorgt dafür, dass Baumaßnahmen in Baumnähe durch eine fachliche Begleitung zukünftig sowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Sicht stets erfolgreich abgeschlossen werden können.
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