DURCH WURZELN VERURSACHTE SCHÄDEN AN ROHRLEITUNGEN UND VERGLEICHBAREN BAUWERKEN
Quelle: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2009. Haymarket Media, Braunschweig, S. 41-51.
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach,Dipl.–Ing. Christoph Bennerscheidt, Prof. Dr. Thomas Stützel
Bäume sind ein wichtiger Bestandteil des anthropogen geprägten Lebensraumes. Aus der direkten Nähe von Baumwurzeln und den technischen Einrichtungen zur Ver- und Entsorgung der Städte ergeben sich zwangsläufig Konflikte. Wurzeleinwuchs stellt eine der häufigsten Schadensursachen an den Elementen unterirdischer Infrastruktur dar und die Sanierungskosten derartiger Schäden belaufen sich bundesweit auf mehrere Millionen Euro jährlich. Ungeachtet dessen wurde die (baum)biologische Komponente dieses Problems In der Vergangenheit stark vernachlässigt. Die hier vorgestellten Untersuchungen sind das Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Bauingenieuren und Naturwissenschaftlern, welche sich zum Ziel gesetzt haben, Lösungsansätze unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen aller an dieser Problematik beteiligten Fachdisziplinen zu erarbeiten.
Einleitung
Die Ergebnisse einer im Jahre 2004 durchgeführten Umfrage zum Zustand der Kanalisation in Deutschland haben gezeigt, das Einwurzelungen in Kanalisationssysteme zu den wesentlichen Schadensursachen zählen [3]. Ein ähnliches Bild zeigen Untersuchungen aus weiteren Ländern, bei denen sich allein aus den errechneten jährlichen Kosten für die Sanierung von durch Baumwurzeln verursachten Schäden an den Elementen urbaner Infrastruktur ein dementsprechender Handlungsbedarf ableiten lässt.
Bei einem Blick auf die Gründe, welche als Ursache für das Einwachsen von Wurzeln in Leitungssysteme angeführt werden fällt auf, dass das Bestreben der Wurzeln, feuchte Bodenbereiche gegenüber trockeneren Bodenbereichen vorzuziehen, in Zusammenhang mit undichten Rohrverbindungen gebracht wird. Dabei wird das hydrotrophe Verhalten der Wurzeln auf die Aussage “Wurzeln suchen nach Wasser” reduziert. Die Reduktion auf das Wesentliche sollte dennoch den tatsächlichen Sachverhalt wiedergeben. “Suchen” und “finden” setzen in der Regel ein Bewusstsein für diese Tätigkeiten voraus. Richtig ist, dass Wurzeln während ihres Wachstums unter anderem im Boden vorhandenen Feuchtigkeitsgradienten folgen können.
Ungeachtet dessen gibt der hohe Anteil an Kanalisationsschäden, in dessen Folge Exfiltrationen von Abwässern auftreten können, sowie das aktuelle Prüfverfahren für Rohrverbindungen auf ihre Wurzelfestigkeit [5] der weitläufig anerkannten “Leck-Hypothese” recht. Die Ergebnisse einer früheren Arbeit haben gezeigt, dass die Zusammensetzung der Abwässer zu einem Zerfall der pflanzlichen Gewebe und damit zu einer massiven Schädigung der Wurzeln führt [12]. Es ist daher anzunehmen, dass aus Kanalisationssystemen austretendes Abwasser dem Wurzelwachstum - wenn überhaupt - nur wenig förderlich ist.
Eine Ausweichmöglichkeit vorausgesetzt, wird eine mechanisch oder chemisch verletzte Wurzel versuchen, sich diesem Stimulus zu entziehen, indem sie ihr Wachstum von diesem abgewandt fortsetzt. Das Gütesiegel “Wurzelfest” sichert in seiner aktuellen Form Rohrverbindungen, die einem von innen aufgebrachten Wasserdruck von 0,5 bar standhalten. Das dahinter stehende Prüfverfahren nimmt keine Rücksicht auf den Penetrationsvorgang durch eine Wurzel, welcher eine mechanische Belastung von außen darstellt. Die zunächst plausibel erscheinende “Leck-Hypothese” führt zu der Annahme, dass dichte Rohrverbindungen Wurzeleinwuchs verhindern können.
Was aber passiert, wenn Rohrverbindungen technisch einwandfrei verlegt - und damit dicht - sind und trotzdem durchwurzelt werden? In diesem Fall, der an einer Vielzahl von geborgenen Schadensfällen beobachtet werden konnte, verliert die “Leck-Hypothese” ihre Bedeutung. Diese Situation, welche auch experimentell leicht simuliert werden kann, führt zu der Frage, was Wurzeln tatsächlich zum Einwachsen in Rohrverbindungen veranlasst. Zur Beantwortung dieser Frage wurden verschiedene Versuchsreihen durchgeführt, die sowohl biologische als auch ingenieurstechnische Parameter berücksichtigen.
Grundlagen des Wurzelwachstums
Wurzeln treten in zwei morphologisch und anatomisch differenzierten Entwicklungsstadien auf. Primäre Entwicklungsstadien finden sich an den Wurzelspitzen. Im Zentrum der Wurzelspitze liegt ein teilungsaktives Gewebe, welches fortlaufend neue Zellen bildet. Die nach vorne, d. h. in Wachstumsrichtung gebildeten Zellen bilden die Wurzelhaube. Sie ist das Gewebe, welches zuerst mit der Umgebung in Berührung kommt und stellt das sensorische Zentrum der Wurzel dar. Trotz der enormen Anforderungen sind die Zellen Wurzelhaube kurzlebig. Ihre äußersten Zellen liegen in einem losen Verband vor. Zusammen mit den von den Wurzeln abgegebenen Exsudaten bilden sie eine schlüpfrige Schutzschicht, welche die Wurzelspitze während ihres Wachstums vor Abnutzung schützt und den Reibungswiderstand zwischen Wurzel und umgebenden Substrat heruntersetzt.
Die nach hinten, d.h. entgegen der Wachstumsrichtung gebildeten Zellen formen den langlebigen Wurzelkörper. Nach ihrer Abgliederung erfahren diese Zellen zunächst eine Streckung. Diese Zone ist wenige Millimeter kurz - trotzdem wachsen Wurzeln ausschließlich und nur in diesem Bereich in die Länge. Die daran anschließende Wurzelhaarzone bildet durch ihre Verankerung im Boden das für die Längenzunahme notwendige Widerlager. Mit zunehmender Entfernung zur Wurzelspitze differenzieren die Zellen weiter und formen Leit-, Stütz- und Schutzgewebe.
Obwohl für den Vortrieb hauptsächlich Kräfte in axialer Richtung aufgebracht werden müssen, spielt die radiale Expansion der Gewebe eine wichtige Rolle, die vor allem bei mechanischer Behinderung der Wurzelspitze zum Tragen kommt. Durch ihre Ausdehnung in die Dicke erweitert die Wurzel den vor ihr liegenden Spalt und erleichtert dadurch das Eindringen der Wurzelspitze in das umgebende Substrat. Das sekundäre Entwicklungsstadium ist durch die Produktion von verholzten Geweben charakterisiert.
Die Wurzel erweitert in diesem Stadium ausschließlich ihren Umfang. Hierdurch verlieren ältere Wurzelteile zunehmend die Fähigkeit, Wasser und Nährstoffe aufzunehmen und übernehmen stattdessen statische Aufgaben.
Standortbedingte Modifikationen von Wurzeln und Wurzelsystemen
Die Ausbildung einer bestimmten Kronenform ist in gleichem Maße genetisch festgelegt wie die Ausbildung eines bestimmten Wurzelsystems. Diese Veranlagung wird maßgeblich durch den Einfluss verschiedener Bodenparameter überlagert. Die drei Grundtypen, d. h. Pfahl-, Herz und Senkwurzelsysteme, können an Naturstandorten ausgebildet werden, sind jedoch an anthropogen beeinflussten, innerstädtischen Standorten kaum realisiert.
Oberflächenversiegelungen in Form von Wege- und Straßenbelägen schränken die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Bodenkörper und Atmosphäre ein und blockieren damit Boden bildende Prozesse. Der Verlust der natürlichen Bodenfunktionen führt dazu, dass sich diese Böden nicht weiter entwickeln können und somit fortwährend in entsprechenden Initialstadien verbleiben.
Die im Gegensatz zu natürlichen Standorten veränderten Bodenwasser- und Bodenluftverhältnisse führen zur Ausbildung von an diese Verhältnisse angepassten Wurzelsystemen. Luft und Wasser stellen hierbei die wichtigsten formgebenden Faktoren dar, sind nur begrenzt vorhanden und limitieren damit das Wurzelwachstum im Boden. Da es an innerstädtischen Standorten in der Regel nicht zu tiefgründigen Durchfeuchtungen des Substrates kommt, halten sich Wurzeln bevorzugt in den oberen Bodenschichten auf. Der lebensnotwendige Sauerstoffeintrag ist zudem aufgrund der geringen Gasdurchlässigkeit der Beläge auf Fugenbereiche reduziert und begünstigt damit zusätzlich das oberflächennahe Wurzelwachstum.
Diese Verteilungsmuster können auch an ungestörten Standorten beobachtet werden. Generell lässt sich feststellen, dass konstante Bodentemperaturen und -feuchtigkeit eher zu horizontal ausgerichteten Wurzeln führen, wohingegen schwankende Bodenparameter vertikal ausgerichtete Wurzeln hervorbringen.
Wurzelwachstum im Boden
Das Wurzelwachstum richtet sich nach nur wenigen Regeln, welche in Abhängigkeit der vorherrschenden Umweltbedingungen konsequent eingehalten werden. Der Weg einer Wurzel durch den Boden wird durch dessen wechselnde Eigenschaften vorgegeben. Die Wurzel reagiert ihrerseits auf die jeweils angetroffene Situation bzw. auf die veränderten Bodenparameter. Der Einfluss der Wurzel auf den Boden ist, hinsichtlich des eingeschlagenen Pfades, sehr viel geringer und beschränkt sich auf den Bereich der Rhizosphäre.
Abgeschiedene Wurzelexsudate in Form von Zuckern, organischen Säuren und Aminosäuren unterstützen die Nährstoffaufnahme, sind aufgrund ihrer Eigenschaften aber nicht dazu geeignet, Bodenpartikel aufzulösen und damit neue Wege für die wachsende Wurzel zu erschließen.
Wurzeln sind in der Lage, während ihres Wachstums in locker verdichtete Bereiche auszuweichen. Hierzu zählen auch größere Bodenporen und zusammenhängende Porenbereiche. Diese können als Risse zwischen Bodenaggregaten, in Form von Regenwurmgängen oder abgestorbenen Wurzeln vorliegen. Diese Fähigkeit ist in den mechanischen und physiologischen Eigenschaften der Wurzelspitze begründet. Da die ersten Zentimeter der Wurzelspitze weder Festigungsgewebe noch verholzte Anteile aufweisen, ist diese dementsprechend flexibel. Diese Eigenschaft ermöglicht es der Wurzel, während ihres Wachstums den Weg des geringsten Widerstandes einzuschlagen und auf diese Weise Energie zu sparen. Darüber hinaus verfügt die Wurzel über verschiedene Möglichkeiten, auf externe Reize zu reagieren. Diese Reizreaktionen äußern sich in einem gezielten Wachstum der Reizquelle zu- oder abgewandt. Je nach Bewegungsrichtung und Art des Reizes unterscheidet man positive und negative Wachstumsbewegungen (Tropismen), von denen in diesem Zusammenhang die folgenden angesprochen werden sollen:
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Der Gravi- oder Geotropismus ist in Wurzeln positiv ausgeprägt. Er ist allgegenwärtig und dominiert das Richtungswachstum. Unter bestimmten Bedingungen kann die gravitrophe Reaktion der Wurzel allerdings durch andere Wachstumsbewegungen überlagert werden.
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Der Hydrotropismus ist ebenfalls eine zur Quelle gewandte Wachstumsreaktion. Sie schließt das gezielte Wachstum in Bereiche mit hoher Luftfeuchtigkeit ein.
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Der Aerotropismus ist eine Wachstumsreaktion, die sich Gasen zuwendet, sich aber auch von diesen abwenden kann. Über die jeweilige Richtung entscheidet das sich auf das Wachstum positiv oder negativ auswirkende Reagenz. Hierzu zählt auch der Oxytropismus, der bei atmosphärisch freiem Sauerstoff (“Luft”) eine zur Quelle gewandte Wachstumsreaktion beschreibt.
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Der Chemotropismus äußert sich ebenfalls in einer von der Wirkung auf das Wachstum abhängigen Wachstumsreaktion, die im Falle einer förderlichen Substanz zu dieser gerichtet und im Falle einer schädigenden Substanz von dieser abgewandt sein kann.
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Der Thigmotropismus ist der Reiz, von der Quelle (einem mechanischem Reiz) abgewandt zu wachsen, was der Wurzel hilft, den Weg des geringsten Widerstandes zu finden. Eine Ausweichmöglichkeit vorausgesetzt, kann diese Wachstumsreaktion ebenso wie der Traumatotropismus (Wachstumsreaktion nach mechanischer Beschädigung) die geotrophe Reaktion überlagern.
Die Reizschwelle für alle Tropismen ist relativ niedrig, jedoch können durch die Wurzel verschieden starke Reizungen wahrgenommen und in entsprechend angepasste Wachstumsreaktionen umgesetzt werden [6]. Die Detektionsgrenzen für die Reize sind sehr gering. So sind Wurzeln beispielsweise in der Lage, einen Sauerstoffgradienten von wenigen Molekülen Unterschied zu zwei Seiten der Wurzelspitze wahrzunehmen und entsprechende Wachstumsreaktionen einzuleiten [10].
Mit Ausnahme des Gravitropismus bedarf es zum Auslösen einer entsprechenden Wachstumsreaktion zwingend den direkten Kontakt der Wurzel mit der Reizquelle. Hinsichtlich der Durchwurzelungsproblematik bedeutet dies, dass das Eindringen von Wurzeln in Abwasserleitungen und -kanäle nach der “Leck- Hypothese” an exfiltrierendes Abwasser und der hydrotrophen Wachstumsreaktion der Wurzel gebunden ist.
Ursachen des Wurzeleinwuchses in Leitungssysteme
Die Analyse zahlreicher Schadensfälle hat gezeigt, dass Wurzeln auch in vollkommen intakte Rohrverbindungen einwachsen können [13]. Diese Situation konnte auch im Experiment unter kontrollierten Bedingungen erfolgreich herbeigeführt werden. Dieses Schadensbild erfordert ein Umdenken hinsichtlich der bisher angenommenen Ursachen, welche Wurzeln dazu veranlassen, in Leitungssysteme einzudringen.
Technisch einwandfrei funktionierende, dichte Rohrverbindungen trennen den Leitungsinhalt von den Wurzeln. Infolgedessen ist eine Wurzel in Verbindungsnähe nicht in der Lage, hydrotroph zu reagieren und daraufhin gezielt in Richtung Leitungsinhalt zu wachsen. Da Wurzeln trotz allem unbeschädigte Leitungen penetrieren, müssen die Ursachen für dieses Verhalten in diesen Fällen bei den Eigenschaften des Leitungsgrabens und/oder der Leitungsmaterialien bzw. der Verbindungen zu suchen sein. Darüber hinaus führt die Beobachtung, dass Wurzeln oftmals über weite Strecken an Leitungen entlang wachsen, zu der Frage, wie Wurzeln dorthin gelangen und was sie dort festhält.
Baumpflanzungen im Straßenraum unterliegen einer Vielzahl von Regelwerken. So ist beispielsweise der gesamte Raum unterhalb von Fahrbahnen und Gehwegen in Sektoren zur Unterbringung von Leitungen und (technischen) Anlagen unterteilt [4]. Nach dieser Norm sind Baumpflanzungen nur dann zu berücksichtigen, wenn für die vorhandenen Leitungen keine Beeinträchtigungen entstehen. Umgekehrt entstehen einem Straßenbaum keine Beeinträchtigungen, wenn ihm zur gewünschten funktionsgerechten Entwicklung ein ausreichendes Volumen an durchwurzelbarem Substrat zur Verfügung steht, welches mehrere hundert Kubikmeter betragen kann.
In der Praxis sind diese Dimensionen kaum realisierbar - selbst das einem ausgewachsenen Baum für ein noch akzeptables Wachstum zur Verfügung stehende Volumen von 15 m3 ist nur selten gegeben. Standardbaumgruben mit einem Volumen von unter 4 m3 an durchwurzelbarem Substrat sind eher die Regel als Ausnahmen [1]. Hieraus ergibt sich - neben baumbiologischen Konsequenzen - eine deutliche Verschärfung des unterirdischen Konflikts zwischen Wurzeln und Leitungen.
Untersuchungen zur Regenerationsfähigkeit von Wurzeln
Das Verlegen von Leitungen in einem Altbaumbestand, hat zwangsläufig eine Verletzung des Wurzelwerks benachbarter Bäume zur Folge. In Abhängigkeit von der jeweiligen Wurzeldicke und deren Alter sind Wurzeln in der Lage, den Verlust der abgängigen Bereiche durch die Ausbildung neuer Wurzeln an der Schnittstelle zu kompensieren. Diese Regenerationsfähigkeit ist bei verschiedenen Baumarten unterschiedlich stark ausgeprägt, jedoch erzeugt die Kappung einer Wurzel in der Regel immer eine Vielzahl neuer Wurzeln.
Durchtrennte Wurzeln regenerieren nach dem Leitungseinbau und dem anschließenden Verfüllen des Leitungsgrabens in einem Grenzbereich zwischen gesetztem, relativ hoch verdichtetem und daher porenarmen Substrat (Umgebung des Leitungsgrabens) und lockerem, im Gegensatz dazu weniger hoch verdichtetem und damit porenreicherem Substrat (Graben- verfüllung). Aufgrund der für das Wurzelwachstum förderlichen Grabeneigenschaften wie eine erhöhte Wasserkapazität und ein erhöhter Anteil an Bodenluft, können die neu generierten Wurzeln ihr Wachstum bevorzugt im Leitungsgraben fortsetzen. Da nach dem Einbau unterhalb der Leitung ein relativ locker verdichteter Bereich (Zwickel) verbleibt, können sich durch natürliche Setzungsprozesse Dichtetrichter in Richtung der Leitung ausbilden, welche hier wachsende Wurzeln allmählich in tiefere Bodenschichten lenken können.
Bei Aufgrabungen konnte beobachtet werden, dass Wurzeln ihr Wachstum auch direkt in der Grenzschicht zwischen gesetztem Boden und Grabenverfüllung fortsetzen können und in diesem Bereich in Richtung Rohrsohle vordringen [2]. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Zusammentreffen von Wurzeln und Leitungen auch von den Grabeneigenschaften abhängt. Die häufig geäußerte Annahme, das Kondenswasser, welches sich an den Außenwänden der Leitungen niederschlägt, die Ursache für dieses Ereignis darstellt, wurde bislang nicht überprüft. Hierbei sollte bedacht werden, dass Wurzelwachstum hauptsächlich während der Nacht stattfindet. In dieser Zeitspanne fließen nur geringe Mengen an Abwasser durch die Leitungen und können folglich auch nur in geringem Maße zur Kondenswasserbildung beitragen.
Wurzel-Rohr-Interaktionen
Wenn sich zwei Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften nicht nahtlos aneinanderfügen, d. h. miteinander verschmelzen, verbleibt zwischen ihnen zwangsläufig ein Spalt. In diesem Beispiel verbleibt, ungeachtet des Verdichtungsgrades des Leitungsgrabens, ein Hohlraum zwischen der Leitung und dem umgebenden Substrat. Dieser wird von einer Wurzel, welche in diesen Bereich vordringt, als durchgehender Porenraum wahrgenommen. Konsequenterweise setzt die Wurzel daraufhin ihr Wachstum entlang dieser leicht durchwurzelbaren Grenzfläche fort. Das Aufeinandertreffen von Wurzel und Rohrverbindung ist damit ein vorgezeichnetes Ereignis.
In Abhängigkeit vom Verbindungstyp bietet der Muffenspalt einer hier hineinwachsenden Wurzel ein unterschiedliches Maß an zusätzlichem, leicht durchwurzelbaren Raum. Sofern der Muffenspalt mit genügend lockerem Substrat ausgefüllt ist, füllen Wurzeln diesen Bereich zunächst aus, indem sie ringförmig in radialer Richtung zur Leitung um das Rohr herumwachsen. Neu gebildete Seitenwurzeln entspringen der Hauptwurzel an ihrer mechanisch unbehinderten Flanke in einem Winkel von 90° und setzen ihr Wachstum direkt in Richtung des Dichtelements fort.
Rohrverbindungstypen mit geringeren Spaltmaßen bieten Bodenpartikeln zu wenig Platz, um den Muffenspalt auszufüllen. Für eine ankommende Wurzel stellen sich diese Hohlräume als weiterer durchgehender Porenraum dar. Es ist anzunehmen, dass der Auftreffwinkel der Wurzelspitze auf das Dichtelement anschließend darüber entscheidet, ob die Wurzelspitze von diesem abgelenkt wird, oder sie ihre bisherige Wachstumsrichtung beibehält. Im ersten Fall umrundet die Wurzel daraufhin während ihres Wachstums das Rohr im Muffenspalt und verhält sich damit wie für den zuvor beschriebenen Fall substratdurchsetzter Muffenspalten.
Wurzeln, die in senkrechter Richtung zum Dichtelement auftreffen, können ihr Wachstum bis in den Zwickel zwischen Dichtunglippe und dem in das Glockenende eingeschobene Spitzende fortsetzen. Sobald sich eine Wurzel in diesen Spalt zwängt, wird sie durch die elastischen Eigenschaften des Dichtelements mechanisch fixiert und verliert ihre Fähigkeit, diesem Hindernis auszuweichen. Auf physiologischer Ebene kommt es daraufhin zu einem zeitweiligen Wachstumsstopp der Wurzel. In einem nächsten Schritt verkürzen sich die Zellen, welche sich in der Streckungszone befinden, schwellen an und erweitern auf diese Weise den Durchmesser der Wurzel. Dieser Mechanismus erniedrigt unter anderem den Reibungswiderstand zwischen Wurzelspitze und umgebenden Substrat.
Untersuchungen zur Arbeitsleistung von Wurzeln
Während ihres Wachstums im Boden sind Wurzeln dazu in der Lage, vorhandene Hohlräume zu erweitern und ihnen im Weg stehende Hindernisse (Bodenpartikel) zu verdrängen. Darüber hinaus ist es Wurzeln allerdings nicht möglich, zwischen natürlichen und technischen Barrieren zu unterscheiden. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Frage nachgegangen, wie viel Druck Wurzeln aufzubringen in der Lage sind [9]. Diese Versuche dienen bis heute als Grundlage zur Beschreibung der Kraftentwicklung, welche von Wurzeln ausgeht und wurden in ähnlicher Form unter der Fragestellung des Penetrationsvermögens von Wurzeln an Rohrverbindungen erneut aufgenommen.
Hierzu wurden Gipsplatten angefertigt, die auf ihrer Unterseite mit blind endenden Nuten versehen waren. Die Gipsplatten wurden mit ihrer Unterseite auf drucksensitiven Folien fixiert und Keimlinge verschiedener Pflanzenarten mit der Keimlingswurzel voran in die Nuten eingelassen. Somit wurde das Wurzelwachstum auf die Nutenbereiche beschränkt. Durch den Anschluss einer automatischen Bewässerung wurde die Wasserversorgung der Keimlinge für die Dauer der Versuche sichergestellt. Das an die drucksensitiven Folien angeschlossene Messsystem zeichnete kontinuierlich Druckveränderungen auf, wobei die graphische Darstellung der Messungen darüber hinaus die Beobachtung der zeitlichen Wurzel- und Druckentwicklung erlaubte. Hinsichtlich der Durchwurzelungsproblematik waren bei diesen Versuchsreihen zwei Fragestellungen von übergeordnetem Interesse:
- a) Das Prüfverfahren von Rohrverbindungen auf ihre Wurzelfestigkeit nennt einen Wert für den Anpressdruck des Dichtmittels von 0,5 bar. Sind Wurzeln in der Lage, höhere Druckwerte zu erzielen?
- b) Eigene Messungen des Anpressdrucks von Dichtmitteln in Rohrverbindungen haben gezeigt, dass diese mit Ausnahme von Verbindungstypen aus duktilem Gusseisen in der Regel Werte von 8 bar nicht überschreiten. Wie hoch sind demgegenüber die maximal von Wurzeln erbrachten Druckwerte?
Wurzeln und Rohrverbindungen - ein Kräftevergleich
Die Ergebnisse der Druckversuche zeigen, dass die Wurzeln aller untersuchten Pflanzenarten in der Lage sind, deutlich höhere Werte als 0,5 bar aufzubringen. Die Maximalwerte zeigen, dass die Wurzeln der hier untersuchten Arten Quercus robur L. (Stieleiche), Robinia pseudoacaia L. (Robinie) sowie Pinus pinea L. (Pinie) Drücke erzeugen können, welche die Anpressdrücke der Dichtmittel der meisten Rohrverbindungen (‹ 8 bar) übersteigen.
Erwartungsgemäß konnten an Wurzeln verholzender Pflanzen tendenziell höhere Druckwerte als an Wurzeln krautiger Pflanzen gemessen werden. Da die Wurzeln der Araukarie grundsätzlich den gleichen Aufbau wie die Wurzeln der drei anderen hier untersuchten Baumarten aufweisen, ist davon auszugehen, dass weitere Messungen an Araukarienwurzeln dementsprechend ebenfalls höhere Werte liefern werden.
Da Wurzeleinwuchs eine mechanische Belastung der Rohrverbindungen von außen darstellt, welche der Nachweis der Wurzelfestigkeit nach DIN 4060 nicht berücksichtigt, wurden Außendruckuntersuchungen an Rohrverbindungen durchgeführt.
In ihrem Ergebnis zeigen diese Versuche, dass keines der getesteten Produkte in der Lage ist, Außendrücken von 5 bar standzuhalten und zum Teil bereits bei deutlich geringeren Aussendrücken mechanisch versagen. Der Vergleich dieser Daten mit den Druckwerten, welche an Keimlingswurzeln gemessen wurden, zeigt, dass zumindest die Wurzeln der oben genannten Pflanzenarten in der Lage sind, theoretisch jede zur Zeit auf dem Markt befindliche, “wurzelfeste” Steckverbindung potenziell überwinden zu können.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der hier vorgestellten Untersuchungen führen unweigerlich zur Frage nach der Relevanz des aktuellen Testverfahrens von Rohrverbindungen auf ihre Wurzelfestigkeit. Die Tests werden unter anderem unter dem Einfluss einer maximalen Scherlast durchgeführt. Dieser Fall beschreibt die schlechtmöglichste Einbausituation bzw. den größtmöglichen Versatz von zwei miteinander verbundenen Leitungselementen, aber selbst unter diesen extremen Bedingungen bleiben aktuelle Rohrverbindungen dicht.
Die im Zusammenhang mit Durchwurzelungen angeführten Exfiltrationen von Abwässern beziehen sich auf ältere bzw. überalterte Leitungssysteme und können Wurzeleinwuchs möglicherweise, in Abhängigkeit der Qualität der austretenden Flüssigkeiten, begünstigen. Ungeachtet dessen zeigt sich, dass die Penetration von Verbindungen durch Wurzeln nicht von vorhandenen Leckagen abhängig ist und dass auch moderne Rohrverbindungen nachweislich keinen ultimativen Schutz vor Durchwurzelungen bieten [11].
Die Möglichkeit, Wurzeleinwuchs auf mechanischem Wege durch den Einsatz extrem straff sitzender Verbindungen zu verhindern, stößt jenseits der 8 bar-Grenze unter anderem auf massive Probleme beim Zusammenbau der Leitungen und hat sich überdies als wenig zielführend erwiesen [7].
Dichte Rohrverbindungen verhindern eine hydrotrophe Stimulation der Wurzeln, werden ungeachtet dessen trotzdem penetriert. Dieser Schadensfall wird durch die wesentliche Eigenschaft der Leitungssysteme, aus mehreren miteinander verbundenen Teilen zu bestehen, begünstigt. Es scheint daher, dass Wurzeln unter anderem in Rohrverbindungen einwachsen, weil sich ihnen die Möglichkeit dafür bietet. Die Gestalt des Dichtungsmaterials sowie seine mechanischen Eigenschaften begünstigen den Durchwurzelungsprozess zusätzlich, indem die in den Zwickel zwischen Rohr und Dichtungsring gewachsene Wurzel an einer Kurskorrektur gehindert wird.
Es ist absehbar, dass die bisherige Praxis, Ver- und Entsorgungsleitungen aus Teilkomponenten zu konstruieren, auch zukünftig beibehalten wird. Daher empfiehlt sich der Einsatz von Ummantelungen, um Wurzeln den Zugang zu den Rohrverbindungen zu versperren. Das Tonmineral Bentonit stellt ein für diese Zwecke geeignetes Material dar. In ersten Versuchsreihen konnte gezeigt werden, dass Wurzeln im Boden eingelassene Barrieren aus Bentonit meiden, da dieses in gequollener Form nahezu porenfrei vorliegt. Aufgrund seiner Eigenschaften können mittels dieses natürlichem und zudem kostengünstigen Materials Bodenbereiche definiert werden, die langfristig unzugänglich für Wurzeln sind.
Hinsichtlich des ohnehin nur begrenzt zur Verfügung stehenden Raumes für Straßen begleitende Baumpflanzungen sollte diese Maßnahme mit der Erschaffung von Bereichen, in denen Wurzelwachstum erwünscht ist, einhergehen. Auch hierfür stehen geeignete Materialien zur Verfügung. Bei sorgfältiger Planung und Durchführung von innerstädtischen Baumpflanzungen, kann das Risiko für zu erwartende Schäden durch Baumwurzeln an den Elementen urbaner Infrastruktur nachhaltig minimiert werden. Diese Präventivmaßnahme kann darüber hinaus ein gesundes Baumwachstum sicherstellen und dadurch helfen, Kosten, welche bei der Sanierung derartiger Schäden anfallen, einzusparen.
Sowohl der Wert als auch die Leistung eines Baumes steigen mit seinem Alter. Neben denen als Wohlfahrtswirkung beschriebenen Vorteilen, welche von Bäumen im Wohnumfeld ausgehen, lassen sich weitere, in Zahlen auszudrückende Gewinne aus dauerhaften, innerstädtischen Altbaumbeständen ableiten [8]. Die Vermeidung von Konflikten zwischen Baumwurzeln und den Elementen urbaner Infrastruktur erfordert ein Umdenken der bisherigen Praxis von Baumpflanzungen. Der damit einhergehende finanzielle Mehraufwand zahlt sich langfristig aus und trägt im Wesentlichen dazu bei, dass Bäume die von ihnen erwartete Leistung überhaupt erbringen können. Eine Optimierung des Wurzelraumes muss dabei lediglich die Grundlagen vorgeben - den Rest kann ein Baum aus eigenem Antrieb erbringen.
Literatur
[1] Benfeld, K.-D. (2007): Wie viel Raum braucht ein Baum? Neue Landschaft 51, 33-36.[2] Bennerscheidt, C.; Schmiedener, H.; Streckenbach, M.; Hüben, S.; Schunicht, J.; Ströcker, K. (2007): Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle - “ergänzende Feldversuche”. Endbericht des Forschungsvorhabens im Auftrag des Umweltministeriums NRW (MUNLV), 84 S.
[3] Berger, C; Lohaus, J. (2004): Zustand der Kanalisation in Deutschland. Ergebnisse der DWA-Umfrage 2004. KA-Abwasser, Abfall 52, 528-539.
[4] DIN - Deutsches Institut für Normung e. V. (Hrsg.) (1978): DIN 1998. Unterbringung von Leitungen und Anlagen in öffentlichen Flächen, Richtlinien für die Planung . Beuth Verlag, Berlin, 4 S.
[5] DIN - Deutsches Institut für Normung e. V. (Hrsg.) (1998): DIN 4060. Rohrverbindungen von Abwasserkanälen und -leitungen mit Elastomerdichtungen. Beuth Verlag, Berlin, 5 S.
[6] Hart, J. W. (1990): Plant tropisms and other growth movements. Unwin Hyman, London, 228 S.
[7] Lu, J. P.; Burn, L. S.; WhittLe, A. J. (2000): Elastomeric joint performance of PVC, VC and FRC pipes. Polym. Eng. Sci. 40, 2217-2236.
[8] McPherson, E. G. (2003): A benefit-cost analysis of ten street tree species in Modesto, California, U. S. J. Arboric. 29, 1-8.
[9] Pfeffer, W. (1893): Druck- und Arbeitsleistung durch wachsende Pflanzen. Abh. d. Kgl. Sächs. Gesell. d. Wiss. 33, 233-475.
[10] Porterfield, D. M.; Musgrave, M. E. (1998): The tropic response of plant roots to oxygen: Oxytropism in Pisum sativum L. Planta 206, 1-6.
[11] Ridgers, D.; Rolf, K.; Stål, Ö. (2006): Management and planning solutions to lack of resistance to root penetration by modern PVC and concrete sewer pipes. Arboric. J. 29, 269-290.
[12] Stützel, Th.; Bosseler, B.; Bennerscheidt, C.; Schmiedener, H. (2004): Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und -kanäle - Ursachen, Prüfung und Vermeidung. Endbericht des Forschungsvorhabens im Auftrag des Umweltministeriums NRW (MUNLV), 223 S.
[13] Stützel, Th.; Bosseler, B.; Bennerscheidt, C.; Schmiedener, H.; Streckenbach, M. (2007): Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle - Ergänzungsvorhaben. Endbericht des Forschungsvorhabens im Auftrag des Umweltministeriums NRW (MUNLV), 125 S.