WURZELWERK ALS GEFAHR FÜR DAS KANALSYSTEM

Versuchsanlage bringt neue Erkenntnisse
Quelle: bi UmweltBau, Heft 1 (2013), S. 68-71
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach, Dipl.-Ing. Klaus Schröder
Dipl.–Ing. Christoph Bennerscheidt

Unter der Erde schlummert ein unsichtbares, weit verzweigtes Netz: das Wurzelwerk von Bäumen erschließt sich neue Räume, breitet sich aus und gräbt sich in die Tiefe. Gerade in innerstädtischen Bereichen werden in unmittelbarer Nähe zu Bäumen jedoch auch Leitungen und Rohre verlegt. Bedingt durch diese oftmals notwendige räumliche Nähe, können Wurzeln in Kontakt mit der technischen Infrastruktur treten und Schäden an den unterirdischen Anlagen hervorrufen [1]. Das Kanalsystem kann undicht werden oder verstopfen, ungeklärtes Abwasser in den Boden gelangen oder Fremdwasser in die Leitungssysteme eintreten. Im Zuge der Sanierung betroffener Leitungsabschnitte, müssen zudem häufig auch größere Teile der Wurzelsysteme entfernt werden. Dadurch werden Bäume in ihrer Vitalität stark beeinträchtigt und nicht selten soweit geschädigt, dass sie absterben.


Erarbeitung von einvernehmlichen Lösungsstrategien

Ein interdisziplinärer Forschungsverbund zwischen Bauingenieuren des IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur in Gelsenkirchen, Naturwissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und Mitarbeitern des Osnabrücker Service Betriebes (OSB) hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Konfliktsituation aufzulösen. Auf der Grundlage der bisherigen Forschungsergebnisse wird davon ausgegangen, dass sich das Wachstum von Wurzeln durch geeignete Bodenbeschaffenheiten kontrollieren lässt [2]. Somit ergibt sich die Möglichkeit, Baumwurzeln den Zugang zu Leitungssystemen zu verwehren und sie gleichzeitig in Bereiche zu führen, in denen ihr Wachstum und ihre Ausbreitung ausdrücklich erwünscht sind. Im November 2009 fiel der Startschuss für eine einzigartige Versuchsanlage am Waldfriedhof Dodesheide in der Stadt Osnabrück, mit der die wurzelabweisende Wirkung von porenarmen Verfüllstoffen im Sinne des DWA Merkblattes 162 „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle” geprüft werden kann [3]. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) begleitet das Vorhaben seit Beginn als Fördermittelgeber.


Anlage des Versuchsfeldes

Im ersten Schritt wurden insgesamt 24 ausgewachsene Bäume mit einer Verpflanzmaschine für Großbäume an den Rand des Waldfriedhofs Dodesheide verpflanzt. Die Gehölze stammen aus einer früheren Untersuchungsanlage des Eigenbetriebs Grünflächen und Friedhöfe der Stadt Osnabrück (heute: OSB) in unmittelbarer Nähe, wobei es sich um 8 Platanen, 8 Linden, 5 Eschen, 2 Eichen und einen Ginkgo handelt [4]. Nachdem den Bäumen ausreichend Zeit gegeben wurde sich an Ihrem neuen Standort zu etablieren, wurden an diesen in einem nächsten Schritt Rehabilitationszonen angelegt [5]. Zur Durchführung dieser Aktion konnte eine Vielzahl von Sponsoren gewonnen werden.

Mitarbeiter des OSB bereiteten die Gehölze sukzessive auf die Maßnahme vor. Der Einbau der Substrate, welche von einem Substrathersteller zur Verfügung gestellt wurden, erfolgte durch die Spezialisten eines auf die Verpflanzung von Großbäumen spezialisierten Unternehmens. Zur Steigerung der Durchlüftungssituation wurden pro Baum 12 Belüftungselemente (geschlitzwandige Sickerrohre) innerhalb der Rehabilitationszonen eingebaut. Die Nachsorge der Bäume wird durch Mitarbeiter eines Fachbetriebes für Gartengestaltung und Baumpflege sichergestellt und benötigtes Gießwasser von den Stadtwerken Osnabrück geliefert. Weitere finanzielle Unterstützung erhält diese Phase des Projektes durch Zuwendungen einer Firma, die Produkte für Baumpflanzungen und zum Schutz von Bäumen herstellt.


Probeschachtungen zur Kontrolle des Wurzelwachstums

8 Monate nach der Anlage der Rehabilitationszonen wurde das bis dahin erfolgte Wurzelwachstum in diesen Bereichen durch partielle Freilegungen an ausgewählten Bäumen kontrolliert. Hierbei standen jedoch weniger die Fragen nach baumartspezifischen oder substratabhängigen Unterschieden im Vordergrund. Der Ausbau der Substrate ermöglichte insbesondere die Kontrolle der Wurzelregeneration an der Außenkante der, während der Verpflanzung maschinell gestochenen Ballen am Übergang zu den Rehabilitationszonen. Diese Maßnahme ermöglichte zudem einen ersten Blick auf eingekürzte Starkwurzeln zur Dokumentation des Fortschrittes der Wundkallusbildung.

Die sichtbaren Ergebnisse der Aufgrabungen übertrafen bei Weitem die Erwartungen [6]. Frisch austreibende Wurzeln wurden sogar in Tiefen von mehr als 60 cm angetroffen. Dies überraschte die Beteiligten umso mehr, als dass sich die gestochenen Außenkanten der Ballen mit zunehmender Tiefe in immer weiterer Entfernung zu den Substraten der Rehabilitationszonen befinden. Zudem waren die neu ausgetriebenen Wurzeln bereits bis zu etwa 10 cm tief in die eingebauten Substrate eingewachsen. Diese unerwarteten Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass insbesondere der durch den Einsatz der Belüftungselemente optimierte Gasaustausch in den tieferen Bodenzonen ursächlich für die außerordentlich gute Wurzelentwicklung ist.


Kamerainspektionen zur Kontrolle des Wurzelwachstums

Neben der Möglichkeit dieser, wenngleich so schonend wie möglich durchgeführten Probeschachtungen, wurde zu diesem Zeitpunkt der Einsatz einer nicht-destruktiven Kontrollmöglichkeit des Wurzelwachstums diskutiert. Mit Hilfe einer solchen Untersuchung ließe sich die Situation im Bereich der Belüftungsrohre detaillierter abbilden. Die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse ließen es in einem hohen Maße wahrscheinlich erscheinen, dass die neu gebildeten Wurzeln der Bäume möglicherweise noch tiefer in die Substrate der Rehabilitationszonen vorgedrungen waren. Sollten sich in den Belüftungselementen Wurzeln finden lassen, so hätten diese oberflächennah bereits mindestens eine Wegstrecke von etwa 30 cm hinter sich gebracht, mit zunehmender Tiefe entsprechend noch größere Entfernungen.

Naheliegend war die Idee, hierfür ein modernes Inspektionssystem einzusetzen. Die Entscheidung, eine digitale Kamera für die Kontrolle des angenommenen Wurzeleinwuchses einzusetzen, wurde maßgeblich durch die während eines Seminars des Herstellers derartiger Systeme gewonnenen Erkenntnisse sowie dadurch erleichtert, dass das IKT über ein Exemplar, welches für den mobilen Einsatz entwickelt wurde, verfügt. Wenngleich nicht für die Inspektion von Belüftungsrohren konzipiert, erschien dieses Modell für die geplante Dokumentaton hervorragend geeignet zu sein.

Mit dem Einverständnis der zuständigen Personen konnte die Kamera für die etwas ungewöhnliche Anwendung genutzt werden. C. Bennerscheidt vom IKT arbeitet sich in die technischen Grundlagen der Kameranutzung ein und wusste das System daher problemlos zu bedienen. Über einen angeschlossenen PC ist nicht nur die direkte Kontrolle der Kameraposition über den Bildschirm möglich, darüber hinaus erlaubt das System auch die Aufnahme (per Video und Standbild) sowie deren Wiedergabe.

Noch im September 2012, etwa ein Jahr nach der Anlage der Rehabilitationszonen, kam das Inspektionssystem auf dem Versuchsgelände zum Einsatz. Die ersten Bilder zeigten in die Belüftungsrohre hineinragende Pflanzenteile. K. Schröder und Dr. Markus Streckenbach verfolgten die Kamerafahrten auf dem Monitor und setzten die auf den Bildern ersichtlichen Strukturen in Relation zur Tiefe der eingelassenen Kamera. Dies ermöglichte eine Unterscheidung zwischen den Wurzeln und Rhizomen der ebenfalls in die Belüftungselemente eingewachsenen Gräser und Wildstauden und den Wurzeln der Gehölze.


Ergebnisse der Kamerainspektionen

Während die Wurzeln der Gräser und Wildstauden insbesondere in geringeren Tiefen anzutreffen waren, konnten in tieferen Bereichen vermehrt Baumwurzeln beobachtet werden. Die sich in ihren Durchmessern und ihrer Gestalt nicht nur untereinander, sondern auch von den Wurzeln der nicht-verholzenden Pflanzen deutlich unterscheidenden Gehölzwurzeln, waren regelmäßig in die Belüftungsrohre eingewachsen. Frische und aktive Baumwurzeln wurden vereinzelt auch in Tiefen jenseits von 70 cm angetroffen. Unabhängig von der Art des Substrates (überbaubar und nicht überbaubar) und der jeweiligen Baumart, waren die neu gebildeten Wurzeln damit in allen Fällen über eine Strecke von etwa 30 cm und innerhalb von nur zwei Vegetationsperioden, durch die Rehabilitationszonen bis zu den Belüftungselementen gewachsen.

Die Wachstumsbedingungen waren indes nicht nur für die Wurzeln der beispielhaft untersuchten Exemplare einer Platane, einer Esche, einer Linde und eines Ginkgos außerordentlich gut. Die Untersuchungen offenbarten darüber hinaus an mehreren Stellen die Entwicklung von Pilzfruchtkörpern an bzw. in den Belüftungselementen.


Vorläufiges Fazit

Die Kamerainspektionen der Belüftungselemente haben gezeigt, dass die Wurzeln aller überprüften umgepflanzten Bäume bereits bis zu den Belüftungselementen gewachsen sind. Somit können jetzt die porenarmen Verfüllstoffe im Sinne des DWA-M 162 unter Praxisbedingungen hinsichtlich Ihrer wurzelabweisenden Wirkung untersucht werden. Die hier gemachten Beobachtungen zur Regeneration von Wurzeln und Wurzelsystemen bestätigen nicht nur die bisherigen Annahmen hierzu, sondern erweitern unter anderem auch die Kenntnisse hinsichtlich der Möglichkeiten die Ausbildung von Wurzeln zu beeinflussen. Mit Bezug auf die Eingangs erwähnte Problematik von unerwünschten Interaktionen zwischen Wurzeln und Leitungen wird ebenfalls deutlich, dass die bisherige Vorgehensweise im Zuge von Sanierungen, beispielsweise das Ausfräsen von Leitungen, keine dauerhafte Lösung sein kann.

Das eigentliche Ziel der vorhandenen Versuchsanordnung, neue und dauerhaft wirksame Möglichkeiten zur Verhinderung des Einwachsens von Wurzeln in gesteckte Rohrverbindungen zu testen und zu bewerten, erscheint in dieser Beziehung deutlich wirkungsvoller und lohnender.



Literatur
[1] Bennerscheidt, C.; Stützel, Th.; Streckenbach, M.; Schmiedener, H. (2009): Unterirdische Infrastruktur – Bauteile, Bauverfahren und Schäden durch Wurzeln. In: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2009. Haymarket Media, Braunschweig, S. 23-33

[2] Streckenbach, M.; Bennerscheidt, C.; Stützel, Th. (2009): Durch Wurzeln verursachte Schäden an Rohrleitungen und vergleichbaren Bauwerken. In: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2009, Haymarket Media, Braunschweig, 41–51.


[3] Streckenbach, M. und Lampret, P. (2012): Bäume und Leitungen. Ein Beitrag zur Aktualisierung des Regelwerkes DWA-M 162. TASPO BaumZeitung 02/2012, S. 29-32


[4] Streckenbach, M.; Schröder, K.; Bennerscheidt, C.; Stützel, Th. (2010): Wurzelwachstum von Bäumen im Visier. bi-GaLaBau 1-2: S. 36-40


[5] Streckenbach, M. (2012): Das andere Ende des Baumes – Wurzeln als Komponente der städtischen unterirdischen Infrastruktur begreifen. bi-GaLaBau 5-6/2012, S. 10-14


[6] Streckenbach, M. und Schröder, K. (2012): Wurzelregeneration verpflanzter Großbäume. AFZ-DerWald 20/2012, S. 40-43