DAS ANDERE ENDE DES BAUMES

Wurzeln als Komponente der städtischen unterirdischen Infrastruktur begreifen
Quelle: bi GaLaBau, Heft 5-6 (2012), S. 10-14
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach

Die im November 2009 verpflanzten Großbäume am Standort Osnabrück (vgl. Artikel bi-GaLaBau, Ausgabe 1-2/2010), wurden zwischenzeitlich mit Fördermitteln der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) durch die Anlage von Rehabilitationszonen auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet.


Vorausgegangene Arbeiten

Die für eine solche Maßnahme ungewöhnlich lange zeitliche Verzögerung zwischen dem Umsetzen der Bäume und der Anlage von Rehabilitationszonen, ergab sich aus den Bedingungen, unter welchen die Gehölze an ihrem ehemaligen Standort über 20 Jahre herangewachsen waren und stellt für alle Beteiligten ein Novum dar. Die Auswertung der während der Verpflanzung der Bäume gewonnenen Ergebnisse hat unter anderem bestätigt, dass gleiche Wachstumsbedingungen gleich aufgebaute Wurzelsysteme hervorbringen können. Die Eigenschaften der Umgebung von Wurzeln beeinflussen ihr Richtungswachstum maßgeblich und führen dazu, dass das arteigene und genetisch veranlagte Durchwurzelungsverhalten der unterschiedlichen Gehölze überlagert wird [1].

Hieraus ergibt sich ein großes Potenzial zur Einflussnahme auf die zukünftige Gestalt von Wurzelsystemen und somit für vorbeugende Maßnahmen sowohl im Sinne des Leitungsschutzes als auch zum Wohl der Gehölze. Im Verbundprojekt „Umweltsicherer Kanalbau durch wurzelfeste Bettung der Rohre” wird dieser Zusammenhang unter anderem zur Entwicklung von Verfahren genutzt, mit denen sich das Konfliktpotenzial zwischen Baumwurzeln und technischer unterirdischer Infrastruktur vermindern lässt. Während der laufenden Planung der neu zu errichtenden Versuchsanlage wird dazu stetig das Gespräch mit Vertretern von unmittelbar von der Aufgabenstellung betroffenen Fachrichtungen, wie Ver- und Entsorgungstechnik, Tiefbau, Landschaftsentwicklung, Landschaftsbau, Biologie und Grünflächenplanung gesucht. Die zuletzt erfolgte Anlage der Rehabilitationszonen stellt einen wichtigen Zwischenschritt des aktuellen Forschungsvorhabens dar. Wenngleich die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bäume im Vordergrund dieser Maßnahme steht, werden durch diesen Eingriff die Vorbereitungen zur Anlage der neuen unterirdischen Versuchsanlage maßgeblich erleichtert.


Vorbereitung der Gehölze

Durch ihr Wachstum im Verbund hatten die Bäume stark asymmetrische Kronen entwickelt. Zudem hatte die Entwicklung ihrer Wurzeln in Wurzelgräben atypisch geformte Wurzelsysteme hervorgebracht (vgl. [2]). Um diesen Bedingungen Rechnung zu tragen, wurden daher in einem ersten Schritt unendgeltlich durch die Mitarbeiter des Osnabrücker ServiceBetriebes (OSB) zunächst umfangreiche Pflegemaßnahmen an den verpflanzten Gehölzen durchgeführt. Hierzu gehörten Schnittmaßnahmen im Kronenbereich der Bäume, wie deren einheitliche Aufastung auf etwa 4 m Höhe. Die in einem Abstand von 6 m zueinander auf einer Gesamtlänge von etwa 130 m nun in Reihe gepflanzten Gehölze erhielten zudem Pflegemaßnahmen in Form von moderaten Kroneneinkürzungen und Kronenauslichtungen.

Der Bereich der Wurzelballen wurde anschließend von unerwünschtem Aufwuchs befreit und letzte Reste der oberflächig vorhandenen Kunststofffolien, welche noch aus dem ehemaligen Versuchsaufbau stammten, auf den Wurzelballen entfernt. Zusätzlich wurden Schnittmaßnahmen an oberflächennahen Starkwurzeln inklusive der entsprechenden Wundversorgung vorgenommen und die Wurzelballen mit Obersubstrat abgedeckt. Den Abschluss der umfangreichen Aktion bildete die Anbindung der Gehölze mittels Hanfstricken und Erdankern. Die Notwendigkeit zur Durchführung dieser Maßnahmen ergab sich aus dem Umstand, dass auf die Gehölze am neuen Standort vollständig veränderte Umgebungsbedingungen einwirken. Durch die Einkürzung der Kronen konnte sowohl präventiv auf die veränderten Windlasten reagiert, als auch einer drohenden Unterversorgung der im Frühjahr austreibenden Kronenteile aufgrund fehlender Energiereserven (Assimilate, Reservestoffe) in Folge von abgetrennten Wurzelbereichen entgegen gewirkt werden.


Auswahl geeigneter Substrate

Die Anforderungen an Substrate, welche im Bereich einer Rehabilitationszone zum Einsatz kommen, richten sich nicht nur nach den Ansprüchen von Wurzeln. Im Einzelfall können sich Situationen ergeben, die eine Verwendung überbaubarer Substrate notwendig machen. Solche Materialien müssen eine besondere Struktur aufweisen, die sowohl eine hohe Stabilität garantiert als auch langfristig optimale Eigenschaften, im Sinne der Bäume, gewährleistet. Bei der Auswahl geeigneter Substrate konnte auf die langjährige Erfahrung eines Substratherstellers zurückgegriffen werden. In Zusammenarbeit mit diesem wurden zwei Substrate zur Anlage der Rehabilitationszonen ausgewählt. Hierbei handelte es sich um Mischungen strukturstabiler Materialien mit Körnungen im Bereich von 0 bis 16 und 0 bis 32. Die mineralischen Substrate sind entmischungssicher zusammengesetzt und unterscheiden sich hauptsächlich in ihrer Korngröße, das gröbere Material ist überbaubar.

Beide Produkte werden seit vielen Jahren erfolgreich bei der Neupflanzung von Bäumen sowie der Sanierung von Baumstanorten eingesetzt. Die Anlage von Rehabilitationszonen stellt genau genommen keinen Sanierungsfall dar, kann jedoch als eine Maßnahme bewertet werden, mit der eine dauerhafte Optimierung von Baumstandorten gewährleistet wird. Mit dem Ziel den verpflanzten Gehölzen optimale Wachstumsbedingungen zu bieten, konnte die Kooperation mit dem Hersteller insofern vertieft werden, als dass die insgesamt benötigten 150 cbm Substrat kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden. Der Antransport erfolgte exakt terminiert mit mehreren Sattelzügen bis auf das Versuchsgelände.


Anlage der Rehabilitationszonen

Der Einbau der Substrate erfolgte durch die Mitarbeiter des Unternehmens, dass bereits mit der Verpflanzung der Großbäume betraut war. Die Firma unterstützte das Vorhaben zudem finanziell. Die Anlage der Rehabilitationszonen ist ein wichtiger Bestandteil einer fachgerechten Nachversorgung der Bäume und erfolgte schrittweise zunächst mit dem Ausheben eines umlaufenden, 60cm breiten und 80 cm tiefen Grabens an jedem Gehölz. Die Gräben wurden maschinell am Außenrand der zum Zeitpunkt der Umsetzung gestochenen Pflanzballen (Durchmesser 300 cm) ausgehoben. Dabei wurde auf das Vorkommen von Starkwurzeln geachtet und die Arbeiten entsprechend unterbrochen um jene manuell freizulegen und gegebenenfalls einzukürzen. Die nachgeschnittenen Starkwurzeln wurden danach für ein späteres Auffinden markiert, um an ihnen die zu erwartenden Regenerationseffekte näher untersuchen zu können.

Zur maximalen Steigerung der Durchlüftungssituation im Bereich der Rehabilitationszonen, wurden in diesen 12 Belüftungselemente pro Baum eingebaut. Die rund 300 Belüftungselemente wurden von einem Hersteller von Kunststoffprodukten für den Leistungs- und Landschaftsbau gespendet. Bei den Produkten handelt es sich um geschlitztwandige Sickerrohre mit einer Nennweite von 110 mm, die für ihre Anwendung in diesem Versuchsaufbau auf Längen von 100 cm gebracht wurden. Der Antransport erfolgte termingerecht durch einen Mitarbeiter der Firma, der den Einbau der Belüfter zudem tatkräftig unterstützte. Nach dem Einsetzen von Stechzylindern am Boden der Gräben zur nachträglichen Kontrollmöglichkeit von Substratverlagerungen erfolgte im Anschluss daran das Einfüllen jeweils eines der beiden Substrate. Das eingebrachte Material wurde lagenweise manuell bzw. durch Antreten verdichtet. Hierdurch wurde die ansonsten hohe Tragfähigkeit der Substrate nicht vollständig ausgenutzt, was aktuell jedoch eine nur untergeordnete Rolle spielt.


Pflege der Gehölze

Der vorläufige Abschluss der Baumaßnahme bestand in der Anlage von Gießrändern. Um adäquat auf wechselnde Witterungsbedingungen, wie länger anhaltende Trockenphasen reagieren zu können, werden die Bäume in den nächsten zwei Vegetationsperioden durch die Mitarbeiter eines auf Gartengestaltung und Baumpflege spezialisierten Betriebes betreut. Unter freundlichem Verzicht auf eine Vergütung, wird somit auch eine optimale Bewässerungssituation für die Gehölze erreicht. Für diesen Zweck unterstützen die Stadtwerke Osnabrück AG das Vorhaben zudem mit mehreren Hundert Kubikmetern Wasser pro Jahr. Eine weitere finanzielle Zuwendung erfolgt durch einen Hersteller von Produkten zum Baumschutz und zum Pflanzen von Stadtbäumen.

Der gemeinsam getroffene Entschluss, den Bäumen nach ihrer Verpflanzung zunächst eine angemessene Ruhephase zur Akklimatisierung an ihrem neuen Standort zuzugestehen, hat sich auch im Nachinein als die richtige Entscheidung erwiesen. Durch ihre Vorgeschichte lieferten die Gehölze eine ausgezeichnete Grundlage um diesen ungewöhnlichen Schritt zu wagen. Alle zuvor geäußerten Bedenken, wie die mögliche Ausbildung einer Dichtefalle im Bereich des ausgestochenen Wurzelballens („Porensprung”) oder die Zerstörung größerer Teile von bereits regenerierten Wurzeln beim Einbau der Rehabilitatiosnzonen, konnten zerstreut werden. Aufgrund der modifizierten Wurzelsysteme, bei denen sich die Feinwurzelausbildung in der Hauptsache auf das Zentrum der Wurzelballen konzentriert hatte, war die Wurzelausbreitung noch nicht wesentlich über den Rand des während der Verpflanzung gestochenen Ballens fortgeschritten. Die rechtzeitige Einkürzung der Kronen dämmte zudem temporär die Entwicklung neuer Wurzeln ein.

Beim Vergleich der gemessenen Stammumfänge der Gehölze in den zurückliegenden Jahren wird ebenfalls deutlich, dass die Bäume weder durch das Verpflanzen, noch durch die verspätete Anlage der Rehabilitationszonen in ihrer Vitalität beeinträchtigt wurden. Auf der Grundlage der bisher gemessenen Wachstumsleistung (Zunahme der Stammumfänge) lässt sich festhalten, dass diese durchaus mit jener von Bäumen an naturnahen Standorten gleichwertig ist und auf eine solide Wurzelneubildung seit der Verpflanzung der Gehölze schließen lässt. Durch den Einbau der strukturoptimierten Substrate und der Belüftungselemente, wurde nun der Gasaustausch im Wurzelbereich optimiert. Im Zusammenspiel mit den umfangreichen Pflegemaßnahmen erhalten die Gehölze gegenwärtig die bestmöglichen Standortbedingungen.


Ausblick

Trotz der zeitlichen Verzögerung, welche sich bei der Anlage der Rehabilitationszonen ergeben hat, sehen die beteiligten Projektpartner den zu erwartenden Ergebnissen dieser Maßnahme mit Zuversicht entgegen. Die Förderung der Ausbildung von neuen Wurzeln in den nun angelegten Bereichen kommt der neuen Versuchsanordnung zu Gute. Das geplante Forschungsvorhaben zur Reduktion des Einwuchsrisikos von Baumwurzeln in unterirdische Leitungssysteme mit Hilfe natürlicher Substrate verfolgt mehrere Ziele. Zeitgleich zur Verhinderung von Wurzelwachstum in - aus Sicht der technischen Infrastruktur - sensiblen Bereichen, werden die Möglichkeiten zur Definition von Bereichen in unmittelbarer Umgebung von Leitungen, in denen das Wachstum von Wurzeln ausdrücklich erwünscht ist, untersucht werden.

Mit Blick auf eine zukünftge nachhaltige Neugestaltung von Baumstandorten, sieht das hier angestrebte Model eine stärkere Verzahnung der verschiedenen städtebaulichen Elemente vor. Hierdurch sollen auch die unterschiedlichen Ziele der betroffenen Fachrichtungen stärker als bisher in Einklang gebracht werden. Die Betrachtung von Wurzeln als ein Teil der städtischen unterirdischen Infrastruktur schließt dabei nicht aus, sie als biologische Komponente mit eigenen Ansprüchen zu behandeln. Die Minimierung des Konfliktpotenzials, welches sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Wurzeln und Leitungen ergeben, erfordert in erster Linie geeignete technische Anpassungsstrategien, die den Bäumen auch längerfristig optimale Wachstumsbedingungen bieten. Um die hohen an sie gerichteten Anforderungen zu erfüllen, brauchen insbesondere die im Straßenraum wachsenden Gehölze unsere Unterstützung. Integration statt Ausgrenzung kann auch hier als ein erfolgreiches Model zum gegenseitigen Nutzen gewertet werden.



Literatur
[1] Doussan, C.; Pagès, L.; Pierret, A. (2003): Soil exploration and resource acquisition by plant roots: an architectural and modelling point of view. Agronomie 23, pp. 419-431.

[2] Streckenbach, M.; Schröder, K.; Bennerscheidt, C.; Stützel, Th. (2010): Wurzelwachstum von Bäumen im Visier. bi-GaLaBau 1-2: S. 36-40.


[3] Schröder, K. (2012): Protokoll zur Anlage der Rehabilitatonszonen. Unveröffentlichtes Manuskript.