AUS DEN AUGEN, AUS DEM SINN?
WURZELWACHSTUM IM UNTERIRDISCHEN STRASSENRAUM
Quelle: AFZ-DerWald, 65. Jahrgang, Heft 16, S. 19-21
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach,Prof. Dr. Thomas Stützel, Dipl.–Ing. Christoph Bennerscheidt
Der natürlichen Entwicklung von Bäumen sind in innerstädtischen Bereichen Grenzen gesetzt. Während zur Ausbildung großer und mitunter ausladender Kronen genügend Raum zur Verfügung steht, wird vor allem die Entwicklung der Wurzelsysteme durch technische Bauwerke im direkten Baumumfeld gehemmt. Zudem sind nachträgliche Korrekturen, wie sie durch gezielte baumpflegerische Maßnahmen an den oberirdischen Teilen vorgenommen werden können, im Wurzelbereich nur bedingt möglich. Baumstandorte müssen daher vor allem hinsichtlich der zur erwartenden Wurzelausbreitung vorausschauend geplant werden. Dies betrifft sowohl den Bereich der Pflanzgrube als auch die unmittelbar daran anschließenden Flächen, welche den Wurzeln potenziell zur Ausbreitung zur Verfügung stehen.
Das Baumumfeld
Bevor Bäume ihre volle ökologische Leistung erbringen können, müssen sie ein gewisses Alter erreichen. Nach dem Verlassen der Jugendphase beginnt ihre produktivste Zeit und sie beginnen damit den ihnen zur Verfügung stehenden Raum zu erobern. Da Kronenvolumen und Wurzelmasse in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen [3], müssen die wachsenden Wurzeln spätestens zu diesem Zeitpunkt die oftmals enge Begrenzung der Pflanzgrube verlassen um neue Bodenbereiche zu erschließen. Die Entwicklung von Wurzeln findet in einem Umfeld statt, welches durch sich kleinräumig verändernde Bodenbedingungen mit jeweils sehr unterschiedlichen Eigenschaften gekennzeichnet ist. Da die Ausbildung eines Wurzelwerks maßgeblich durch die Bodeneigenschaften beeinflusst wird, können sich von der “Idealform” stark abweichende Systeme ausbilden [5].
Aufgrund der zum Teil intensiven Nutzung des gehwegseitigen Raumes zur Unterbringung von Ver- und Entsorgungsleitungen wachsen Wurzeln dabei zwangsläufig auch in Leitungsgräben ein. Die bei der Herstellung von Kanalisationen in offener Bauweise geforderten Substrateigenschaften [1] können deutlich von denen abweichen, welche für ein gesundes Wurzelwachstum empfohlen werden [2, 6]. In Leitungsgräben bieten die Leitungszonen und dort vor allem die Bettungsmaterialien der Leitungen vergleichsweise gute Wachstumskonditionen für Wurzeln. Nach teilweise jahrzenhntelangem Wachstum geraten Wurzeln dann oftmals wieder ins Blickfeld - zu einem Zeitpunkt an dem Schäden an technischen Anlagen bereits entstanden und alle Möglichkeiten zu deren Vorzubeugung verstrichen sind.
Der Einfluss unterschiedlicher Bettungsmaterialien
Im Rahmen mehrerer interdisziplinärer Forschungsprojekte wurden an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und dem Institut für Unterirdische Infrastruktur (IKT) mit Sitz in Gelsenkirchen verschiedene Versuchsreihen mit dem Ziel durchgeführt, grundsätzliche Fragestellungen zum Wurzelwachstum in Leitungsnähe zu klären [7]. Zu diesen Untersuchungen gehörten auch Versuchsreihen zum Einfluss unterschiedlicher Bettungsmaterialien auf das Wurzelwachstum. Hierfür wurden Sande und feine Kiese in acht unterschiedlichen Körnungsgrößen mit Durchmessern von 0,063 bis 6,0 mm verwendet, von denen jeweils zwei verschiedene in mehreren alternierenden Lagen gegeneinander in Versuchsgefäße eingefüllt wurden.
Nach der Bepflanzung mit Steckhölzern von Esche (Fraxinus excelsior), Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) und Bergahorn (Acer pseudoplatanus) wurden die insgesamt 60 Einzelgefäße an eine automatische Bewässerungsanlage angeschlossen und im Freiland kultiviert. Nach einer Versuchsdauer von zehn Monaten wurden die Pflanzgefäße durch Längsschnitte geöffnet. Es folgte zunächst eine Sichtkontrolle über den Zustand des Wurzelraumes, anschließend wurden die Wurzelballen durch Freispülen von den Substraten befreit.
Zum Zeitpunkt des Versuchsabbruchs war der Verlust von insgesamt fünf Pflanzen zu verzeichnen, neun weitere Pflanzen zeigten deutliche Mangelerscheinungen. Die verbliebenen Pflanzen zeigten sich in einem sehr vitalen Zustand. Nach dem Freilegen der Wurzelballen zeigte sich unter anderem, dass die Pflanzen einer Art auf die jeweils gleichen Kulturbedingungen (Körnungsgemische) mit der Ausbildung gleich aufgebauter Wurzelsysteme reagiert hatten.
Dabei wurde die Bevorzugung einer bestimmten Körnungsgröße in Form einer dichteren Feinwurzelausbildung ersichtlich. Die dadurch entstandene Etagierung der Wurzelsysteme konnte an den Kontrollpflanzen nicht beobachtet werden. Als eine Folge der zehnmonatigen Versuchsdauer und dem damit einhergehenden fortgeschrittenen Stadium der Wurzelentwicklung, war die Etagierung der Wurzelsysteme in einigen Fällen jedoch nur noch undeutlich ausgeprägt. Ungeachtet dessen zeigen die Ergebnisse dieser Versuchsreihe, dass Sande und feine Kiese sehr intensiv durchwurzelt werden können obwohl sie sehr nährstoffarme Substrate darstellen und das bereits kleine Änderungen der verwendeten Körnungsgrößen zu einer deutlichen Beeinflussung des Wurzelwachstums führen. Im Besonderen zeigt die Tatsache, das gleiche Wachstumsbedingungen bei Baumarten mit unterschiedlichem Durchwurzelungsverhalten zur Ausbildung gleich gestalteter Wurzelsysteme führt, das große Potential der Modellierung von Wurzelsystemen mittels geeigneter natürlicher Substrate auf.
Schadhaft verbaute Rohrverbindungen
Der Einfluss von schadhaft verbauten Rohrverbindungen auf das Durchwurzelungsrisiko stand im Mittelpunkt einer weiteren Versuchsreihe. Das Hauptaugenmerk lag hierbei auf der Einbausituation, bei welcher Pyramiden-Pappeln (Populus nigra cv. ‘Italica’) direkt auf maximal dezentrierten Rohrverbindungen gepflanzt wurden. Es war aus Vorversuchen bereits bekannt, dass sich Wurzeleinwuchs in korrekt installierte Rohrverbindungen innerhalb weniger Monate herbeiführen lässt [9]. Die hier verwendeten Pflanzcontainer besaßen ein Volumen von 500 l und waren mit einer Aufnahmevorrichtung für die Rohrverbindungen ausgestattet. Nach dem Einsetzen der Jungbäume wurden die Behälter mit Bodensubstrat befüllt und dieses manuell verdichtet. Danach erfolgte die Kultur im Freiland bis zu fünf Jahren. Während der Versuchsdauer ergaben Sicht- und Tastkontrollen der Rohrinnenräume, dass bis zur Beendigung der Versuchsreihe jedoch keine Wurzeln in die Verbindungen eingewachsen waren.
Die sukzessive Öffnung der Pflanzcontainer brachte in allen Fällen einen intensiv durchwurzelten Pflanzraum hervor. Das Freilegen der Rohrverbindungen zeigte darüber hinaus, dass sich jeweils eine Vielzahl von Wurzeln in direkter Nähe zu den Muffenspalten gebildet hatten. Obwohl die Ergebnisse dieser Versuchsreihe nicht den Erwartungen entsprachen, ließen sich wichtige Rückschlüsse auf Durchwurzelungsereignisse ziehen. So konnte unter anderem gezeigt werden, dass die unmittelbare Nähe von Wurzeln zu schadhaft verbauten Rohrverbindungen nicht zwangsläufig zu deren Durchwurzelung führt. Das Fehlen von in den Leitungen mitgeführtem Wasser kann als Grund hierfür ausgeschlossen werden [8]. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse dieser Versuchsreihe, dass ein Angebot an einem entsprechend großem Volumen gut durchwurzelbarem Substrat eine effektive Strategie bei der Verhinderung von Durchwurzelungen von Rohrverbindungen darstellen kann.
Auswirkungen eines porenarmen Substrates auf das Wurzelwachstum
Das Tonmineral Bentonit ist ein praxiserprobtes Material, welches Korngrößen mit Durchmessern von weniger als 0,002 mm aufweist und aufgrund der Eigenschaften seines Hauptbestandteils Montmorillonit (mind. 70%) eine hohe Wasseraufnahmekapazität und Quellfähigkeit besitzt. Die in diesem Werkstoff ausgebildeten Poren besitzen Durchmesser, die kleiner sind als jene der Zentralzylinder von Wurzeln. Daher wurde dieses Substrat auf seine mögliche Barrierewirkung auf das Wurzelwachstum überprüft.
In die für diese Versuchsreihen hergestellten Pflanzcontainer wurde Bentonit sowohl in vorgequollener als auch in pulverförmiger Form eingebracht, mit Substrat befüllt und die Behälter anschließend mit Pappeln (Populus alba cv. ‘Nivea’) bepflanzt. Die Kultur erfolgte im Freiland. Nach einer Standzeit von etwa fünf Monaten (vorgequollenes Bentonit) bzw. zwölf Monaten (pulverförmiges Bentonit) wurden die Versuchsgefäße geöffnet und das Bentonit herausgespült.
Den Erwartungen entsprechend, hatten sich die Wurzeln intensiv im zur Verfügung stehenden Substrat entwickelt und dabei die Bentonitkörper überwachsen. Im Gegensatz zur Versuchsreihe, bei der das Tonmineral in trockenem pulverförmigen Zustand eingebaut wurde, waren vereinzelt Wurzeln in die vorgequollenen Barrieren eingewachsen. Die Eintrittspforten bildeten an diesen Stellen Quellungs- und Schrumpfungsrisse, welche sich beim trockenen Einbau des Materials nicht gebildet hatten. Dem entsprechend waren in das trocken eingebaute Material keine Wurzeln eingewachsen.
Unter ansonsten gleichen Versuchsbedingungen muss das Eindringen von Wurzeln in das Tonmineral an dessen Einbauzustand und die dadurch entstandenen Risse im Bentonitkörper abhängig gewesen sein. Ein Blick auf die Erfahrungen mit Bentoniten aus dem Bereich der Deponieabdichtungen zeigt, dass hier der trockene Einbau zur weitgehenden Unterbindung von Rissbildungen empfohlen wird [4]. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen diesen Ansatz. Darüber hinaus hat sich die Verwendung von Bentonit zum Schutz von Rohrverbindungen vor Durchwurzelungen im Versuch bewährt.
Neue Versuchsanlage zur Langzeiterprobung geeigneter Substrate
Die bisherigen Untersuchungsergebnisse reichen derzeit nicht dafür aus, um abschließende Empfehlungen zur Verhinderung von Wurzeleinwuchs in Rohrverbindungen unter Verwendung natürlicher Substrate auszusprechen. Die Erkenntnisse dieser und weiterer Versuchsreihen des durchgeführten Forschungsprojektes bilden daher die Grundlage eines Langzeitversuches welcher aktuell in der Stadt Osnabrück durchgeführt wird [10]. Die bestehende Kooperation zwischen Naturwissenschaftlern und Bauingenieuren wird dabei durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert. Unter Berücksichtigung sowohl technischer als auch baumbiologischer Anforderungen wird dort unter realen Bedingungen die Entwicklung von wurzelfesten Bettungen für Leitungen vorangetrieben. Die zu erwartenden Ergebnisse sollen jedoch nicht nur zur Ableitung von Präventionsmaßnahmen und damit zur Minimierung von Instandsetzungskosten führen, sondern darüber hinaus Möglichkeiten zur Erweiterung des Wurzelraumes aufzeigen.
Wer Bäume in unseren Städten pflanzen möchte oder muss, übernimmt gleichermaßen die Verantwortung für diese Lebewesen. Zwar wachsen Bäume “von alleine”, wer jedoch ihre vergleichsweise geringen Ansprüche missachtet, darf sich anschließend nicht über die unmittelbaren negativen Auswirkungen auf die Vitalität der Gehölze wundern. Prävention bedeutet an dieser Stelle nicht nur finanzielle Einsparungen sondern eine Steigerung der Allgemeinen Lebensqualität die letztendlich allen zu Gute kommt.
Dieser Artikel enthält Auszüge des Beitrages “Pfahlwurzler, Flachwurzler, Herzwurzler - wie Substrate die Ausbreitung von Wurzeln beeinflussen”. Streckenbach, M. und Stützel, T. In: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2010, Haymarket Media, Braunschweig, 159-171.
Literatur
[1] DIN – Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.) (1997): DIN EN 1610. Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen und -kanälen. Deutsche Fassung EN 1610:1997, Beuth, Berlin, 25 S.[2] FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (Hrsg.) (2004): Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 2: Standortvorbereitungen für Neupflanzungen; Pflanzgruben und Wurzelraumerweiterung, Bauweisen und Substrate. FLL, Bonn, 52 S.
[3] Groff, P. A.; Kaplan, D. R. (1988): The relation of root systems to shoot systems in vascular plants. Bot. Rev. 54(4), 387-422.
[4] Horn, R. (2003): Auswirkung von periodischer Austrocknung und Wiederbewässerung auf die Schrumpfrissbildung von künstlich erzeugten Gemischen aus groben starren Körnern und quellfähigem Feinmaterial. Müll Abfall 35 (10), 521–525.
[5] Mickovski, S. B.; Ennos, A. R. (2003): Anchorage and asymmetry in the root system of Pinus peuce. Silva Fenn. 37 (2), 161–171.
[6] Schönfeld, P. (2006): Baumpflanzung in der Stadt nach den Regelwerken der FLL und ZTV-Vegtra-Mü. Veitshöchh. Ber. Landespfl. 94, 11–20.
[7] Streckenbach, M.; Stützel, Th.; Bennerscheidt, C.; Schröder, K. (2007): Wurzeln und Unterirdische Infrastruktur. AFZ/Wald 62(4), 194–196.
[8] Streckenbach, M.; Bennerscheidt, C.; Stützel, Th. (2009): Durch Wurzeln verursachte Schäden an Rohrleitungen und vergleichbaren Bauwerken. In: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2009, Haymarket Media, Braunschweig, 41–51.
[9] Streckenbach, M. (2009): Interaktionen zwischen Wurzeln und unterirdischer technischer Infrastruktur - Grundlagen und Strategien zur Problemvermeidung. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Biologie und Biotechnologie.
[10] Streckenbach, M.; Schröder, K.; Bennerscheidt, C.; Stützel, Th. (2010): Wurzelwachstum von Bäuen im Visier. bi GaLaBau 1+2(10), 36‐40.