WURZELN UND UNTERIRDISCHE INFRASTRUKTUR

Quelle: AFZ-DerWald, 62. Jahrgang, Heft 4, S. 194-196
Dipl.–Biol. Dr. Markus Streckenbach, Prof. Dr. Thomas Stützel,
Dipl.–Ing. Christoph Bennerscheidt, Dipl.–Ing. Klaus Schröder

Im innerstädtischen Bereich werden Baumwurzeln durch eine Vielzahl von Faktoren, unter anderem durch die Bauwerke unterirdischer Infrastruktur, in ihrem Wachstum beschränkt. Die Kosten für die Sanierung von durch Wurzeln verursachten Schäden belaufen sich bundesweit auf mehrere Millionen Euro pro Jahr. Die bisherigen Ergebnisse der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Bauingenieuren und Naturwissenschaftlern zeigt, dass zur Prävention derartiger Schäden eine Revision der bisherigen Annahmen zur Ursache von Durchwurzelungsschäden notwendig ist.


Das Problem

Stadtbäumen fällt neben ihrer Funktion als Sauerstofflieferant eine besondere Bedeutung bei der Regulierung des urbanen Klimas zu. Bedingt durch die unmittelbare Nähe von Baumwurzeln zu Leitungssystemen ergeben sich besondere Konfliktsituationen. Aufgrund der vorgegebenen Randbedingungen des Rohr-Boden-Systems wachsen sie auch in Abwasserkanäle und -leitungen ein. Eingewachsene Wurzeln haben einen negativen Einfluss auf die hydraulische Leistungs- und Funktionsfähigkeit des betroffenen Kanalabschnittes. Mögliche umweltrelevante Auswirkungen sind u.a. die Infiltration von Grundwasser oder die Exfiltration von Abwasser in den umgebenden Grundwasser- und Bodenkörper.


Interdisziplinäre Strategien zur Lösung

Die steigende Zahl von durch Wurzeln verursachten Schäden an Leitungssystemen stellt ein ernst zunehmendes Problem für Kommunen, aber auch für private Grundstücksbesitzer dar. Der Forschungsbedarf über die wahren Ursachen, die Wurzeln zum Einwuchs in Abwasserkanäle und -leitungen veranlassen, ist dementsprechend hoch. Das veranlasste das NRW-Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MUNLV) sowie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) dazu, die bestehende Kooperation zwischen Bauingenieuren und Naturwissenschaftlern mit unterschiedlichen Projekten zu beauftragen.

Seit 1998 beschäftigt sich das IKT (Institut für Unterirdische Infrastruktur) im Auftrag des MUNLV mit der Entwicklung von Maßnahmen gegen Wurzeleinwuchs in Kanalisationssysteme [1]. 2003 konnte in einem ebenfalls durch das MUNLV geförderten Projekt eine erste Brücke zwischen Forschung und Praxis geschlagen werden, in welchem zunächst die Ursachen für Wurzeleinwuchs beschrieben und erste Hinweise zu dessen Vermeidung sowie Vorschläge für Prüfungen von Rohrverbindungen auf ihre Wurzelfestigkeit erarbeitet wurden [10]. Durch das Zusammenspiel beider Fachbereiche wurde v.a. die Vielschichtigkeit der Problematik ersichtlich, welche auf beiden Seiten ein Umdenken von bisherigen Sichtweisen erforderte. Die Aufklärung der Versagensmomente seitens der Rohrsysteme und die Erweiterung der Erkenntnisse über die Wurzelökologie standen im Mittelpunkt eines weiteren Forschungsprojektes [9].

Durch die Darstellung des nationalen Forschungsschwerpunktes im Rahmen des COST Action (C15) Meeting 2005 in Brüssel konnte sowohl die internationale Zusammenarbeit intensiviert als auch mit dem Eigenbetrieb Grünflächen und Friedhöfe der Stadt Osnabrück ein weiterer Kooperationspartner gewonnen werden. Diese Kooperation stellt eine zweite Verbindung zwischen Netzbetreibern und Grünflächenämtern her und verknüpft deren zunächst scheinbar widersprüchliche Interessen.


Bisherige Forschungsergebnisse

Analysierte Schadensfälle von ausgebauten Rohrverbindungen ließen zumindest eines in hohem Maße unwahrscheinlich erscheinen: die gängige Hypothese, dass Wurzeln hauptsächlich durch Leckagen oder Undichtigkeiten in Abwasserleitungen und -kanäle einwachsen. Einige durchwurzelte Rohrverbindungen waren vollständig intakt. Die Auswertung von Versuchsreihen zum Wurzelwachstum bei Schmutz- und Mischwasserkanälen zeigte zudem, dass das mitgeführte Medium die Wurzeln stark schädigt und somit als Anreiz für die Durchwurzelung einer Rohrverbindung kaum infrage kommt [10]. Es wurde ersichtlich, dass das Phänomen Wurzeleinwuchs nicht auf eine alleinige Ursache reduziert erklärt werden kann.

Es sind daher alternative Modellvorstellungen entwickelt worden, die das Einwachsen von Wurzeln begründen. Das Auffinden des Rohres durch die Wurzeln wird beispielsweise durch das Dichtefallenmodell beschrieben, welches das Verhalten der Wurzeln berücksichtigt, bevorzugt in Substrate niedrigerer Dichte einzuwachsen. Das Sauerstoffmodell nimmt dagegen Bezug auf die Problematik, die sich aus hochversiegelten und daher sauerstoffarmen städtischen Böden und dem lebensnotwendigen Sauerstoffbedarf der Pflanzenwurzeln ergibt. Dieses Modell geht davon aus, dass die in den Leitungen mitgeführte Luft Wurzeln zum Einwachsen stimuliert. Darüber hinaus wurden bereits in [10] Regenerationseffekte als wichtige Faktoren für die Gefährdung von Rohren durch Wurzeleinwuchs erkannt und das Regenerationsvermögen verschiedener Gehölze im Kulturversuch ermittelt [2]. Regenerationseffekte treten auf, wenn Wurzeln z.B. im Rahmen einer Baumaßnahme zurückgeschnitten werden und analog zum Kronenrückschnitt mit einem verstärkten Wachstum reagieren. Dies bedeutet, dass ein besonderes Risiko beim Leitungsbau in etabliertem Altbestand besteht.

Das Auffinden der Rohre durch die Wurzeln wird in erheblichem Maße durch die Eigenschaften des Leitungsgrabens bestimmt. Dies betrifft sowohl die unterschiedlichen Substrate als auch die eingesetzten Rohrmaterialien und -verbindungstypen. Wurzeln halten sich offenbar bevorzugt an Grenzflächen auf. Ein im Gegensatz zum umgebenden Substrat weniger dicht verfüllter Leitungsgraben ist für dort wachsende Wurzeln attraktiver und hält diese in einer Dichtefalle “gefangen”. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Wurzeln auf die Leitung treffen.

Das Bettungsmaterial der Leitungen ist im unmittelbaren Bereich der Rohrsohle, dem so genannten Zwickel, meist weniger hoch verdichtet; zudem ergibt sich in diesem Bereich eine Grenzfläche. Die sich für das Wurzelwachstum daraus ergebenden Konsequenzen stimmen mit der Beobachtung überein, dass Wurzeln oft über weite Strecken parallel und dicht am Rohr entlangwachsen. Das Erreichen einer Rohrverbindung ist damit vorgezeichnet. Einmal dort angekommen zeigen Wurzeln je nach eingebautem Verbindungstyp ein unterschiedliches Verhalten. In allen Fällen nutzen die Wurzeln aber den konstruktionsbedingten Muffenspalt als Eintrittspforte.

Versuchsreihen an Eichen- und Robinienkeimlingen zur Arbeitsleistung von Wurzeln haben ergeben, dass diese in der Lage sind, Drücke in radialer Richtung von bis zu 12 bar aufzubauen [9]. Dieser Druck reicht theoretisch aus, um jede zurzeit verbaute Steckverbindung potenziell überwinden zu können. Während sich einige Faktoren, wie der Zusammenbau von Leitungssystemen aus Teilstücken, auch zukünftig nicht vermeiden lassen, so können andere verändert werden.

Die Beeinflussung des Wurzelwachstums durch unterschiedliche Substrate wird in der Praxis häufig beobachtet. Dass sich das Wachstum von Wurzeln durch die Verwendung von geeigneten Substraten auch lenken lässt, konnte bereits durch Kulturversuche in kleinem Maßstab nachgewiesen werden [4, 5]. So stellen speziell die Eigenschaften der eingesetzten Bettungsmaterialien die maßgeblichen Einflussfaktoren dar, welche das Wurzelwachstum im Leitungsgraben verhindern oder begünstigen. Mit einer geeigneten Kombination von Wurzelwachstum fördernden und hemmenden Substraten könnten somit Schäden durch Wurzelwuchs vermieden bzw. bei nachträglichen Arbeiten an den Leitungen unnötige Beschädigungen von Wurzeln verhindert werden.


Ausblick

Bislang fehlen Erfahrungen über den Einfluss von unterschiedlichen Bettungsmaterialien auf das Wurzelwachstum im Bereich von Ver- und Entsorgungsleitungen. So geben zwar technische Regelwerke vor, wie Baumstandorte optimal gestaltet werden müssen [6, 8], um Wurzeln möglichst ideale Wachstumsbedingungen zu bieten, auch liegen bereits grundlegende theoretische Kenntnisse vor, wie ein Leitungsgraben ausgeführt werden sollte, damit keine Wurzeln in ihn einwachsen, jedoch steht die Überprüfung dieser Überlegungen durch konkrete Pflanzversuche bislang noch aus.

Erste Untersuchungen zur Optimierung von Baumsubstraten wurden bereits 1987 durch das GrÜnflächenamt der Stadt Osnabrück begonnen [7]. Ergänzend wurden im Frühjahr 1997 auf einem Betriebsgelände der Stadt Osnabrück Baumpflanzungen mit dem Ziel angelegt, herauszufinden, welche Füllmaterialien in Wurzelgräben bevorzugt durchwurzelt werden und ob es baumartbedingte Unterschiede gibt. Diese Versuchspflanzungen wurden bis heute nicht aufgegraben.

Im Rahmen eines durch die DBU geförderten Gemeinschaftsprojekts zwischen dem IKT, der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und dem Eigenbetrieb Grünflächen und Friedhöfe der Stadt Osnabrück [3] ist eine zielgerichtete Untersuchung des bestehenden Versuchaufbaus geplant. Hauptziel des Projektes ist die Untersuchung unterschiedlicher, Wurzelwachstum hemmender Bettungsmaterialien auf ihre Wirkung gegenüber sich regenerierenden Wurzeln. Zeitgleich werden an der RUB Kulturversuche mit unterschiedlichen Bettungsmitteln zur Ermittlung des Einflusses, den Porengröße bzw. der vorhandene Porenraum verschiedener Substrate auf das Wurzelwachstum besitzen, durchgeführt. Es wird erwartet, dass aus den Ergebnissen beider Versuchsansätze Ruückschlüsse auf eine gezielte Steuerung des Wurzelwachstums gezogen werden können und sich daraus praxisrelevante Vorschläge für eine nachhaltige Verhinderung von Durchwurzelungsschäden ableiten lassen.

Darüber hinaus wurde im Rahmen der Projektbearbeitung eine Expertenrunde einberufen, die sich während der Projektlaufzeit insgesamt dreimal trifft. Diese Runde setzt sich aus Vertretern von Netzbetreibern, Tiefbau- und Grünflächenämtern, Biologen und Bodenkundlern zusammen. Weiterhin sind Schnittstellen zur GALK (Grünflächenamtsleiter-Konferenz) und der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.) vorhanden. Aus dem europäischen Ausland wird die Runde von Experten aus England, Holland und Schweden ergänzt.

Während der ersten Sitzung der Expertenrunde im Oktober 2006 konnte bereits der Grundstein für eine zukünftige internationale Zusammenarbeit gelegt werden. Die Experten treffen sich das nächste Mal auf dem vom IKT ausgerichteten internationalen Symposium “Trees and Underground Pipes”, am 23. und 24. Mai 2007 in Gelsenkirchen. Die Veranstaltung bietet Interessierten die Gelegenheit zum interdisziplinären Erfahrungsaustausch und informiert über den aktuellen Stand der Forschung. Eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit z.B. im Rahmen des siebten Rahmenprogramms der EU (RP7) wird geprüft.



Literatur
[1] Bosseler, B.; Bennerscheidt, C.; Schmiedener, H.; Bartel, M. (2001): “Ökologische Auswirkungen von Wurzeleinwuchs in Abwasserkanälen und -leitungen und ökonomische Maßnahmen zur Schadensvermeidung und Sanierung”. IKT, Im Auftrag von Gelsenkanal. download unter www.ikt.de

[2] IKT: “Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und -kanäle - Ursachen, Prüfung und Vermeidung Teil II”. Laufendes Vorhaben in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Spezielle Botanik der RUB im Auftrag des MUNLV NRW, Projektabschluss Dezember 2006.

[3] IKT: “Vermeidung umweltbelastender Auswirkungen von Wurzelschäden an unterirdischer Infrastruktur durch Entwicklung und Erprobung wurzelfester Bettungsmaterialien”. Forschungsvohaben gefördert durch die DBU, AZ 24479-23.

[4] Krieter et al. (1989): Standortoptimierung von Straßenbäumen – Teil 1. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), Bonn.

[5] Liesecke, H. J.; Heidger, C. (1991): Vegetations- und bautechnische Maßnahmen zur Verbesserung des Stand- und Wurzelraumes bei Straßenbäumen – Ansatz und Durchführung eines Forschungsvorhabens des BMV. Tagungsband der 9. Osnabrücker Baumpflegetage 1991.

[6] Ridgers, D; Rolf, K.; Stål, Ö. (2005): Bäume und Leitungen – Untersuchungen zur Einwurzelung in moderne PVC- und Betonabwasserleitungen. In: Dujesiefken, D.; Kockerbeck, P. (Hrsg.). Jahrbuch der Baumpflege 2005, S. 125-139.

[7] Schröder et al. (1991): Untersuchungen zum Einfluss standardisierter Substrate auf das Wachstum von Laubbäumen 1987 bis 1991. Ein Beitrag zur Optimierung von Straßenbaumstandorten im urbanen Bereich. Herausgegeben anlässlich der 9. Osnabrücker Baumpflegetage 1991.

[8] Schröder, K. (1997): Wurzelraumoptimierung – Beispiele aus Osnabrück. Stadt Osnabrück, Grünflächenamt (Hrsg.).

[9] Streckenbach, M. (2004): Anatomische Merkmale als Parameter bei der Erfassung von Durchwurzelungsschäden. Diplomarbeit, Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Spezielle Botanik.

[10] Stützel, Th.; Bosseler, B.; Bennerscheidt, C.; Schmiedener, H. (2004): “Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und -kanäle - Ursachen, Prüfung und Vermeidung”. IKT, In Kooperation mit dem Lehrstuhl für Spezielle Botanik der Ruhr-Universität Bochum unter Beteiligung verschiedener NRW-Netzbetreiber im Auftrag des MUNLV NRW, download unter www.ikt.de